Cosplayer im Sonntagskleid
Logbuch von der Manga-Comic-Con. Sternzeit 18-03-18. Am letzten Tag der Leipziger Buchmesse wirft sich Redakteurin Lisa mutig ins Geschehen in Halle 1, um von ihren Erlebnissen zu berichten.
10:30 Uhr
Von Gedanken an Schneematsch und der Wärme meines Bettes aufgehalten, beginnt mein letzter Messetag deutlich später als geplant in einer bis zum Bersten gefüllten Straßenbahn. Sie ist voller Menschen, denen man den Trubel der letzten Tage an ihren erschöpften Gesichtern ablesen kann.
10:35 Uhr
Eine Frau mit einem Koffer möchte zusteigen, erkennt beim Öffnen der Türen jedoch die Ausweglosigkeit des Versuchs sich zu uns bereits sardinenmäßig gequetschten Personen zu gesellen und wird zurückgelassen.
10:37 Uhr
Zwei Cosplayer an der nächsten Haltestelle teilen das Schicksal. Ich hoffe ihre Perücken halten ansatzweise so warm wie eine Mütze.
11:02 Uhr
Wie durch einen Geburtskanal verlässt die Menschenmasse die Bahn. Am Presseeingang begegnet mir ein Loki mit kunstvoll gehörntem Helm. Ich frage mich, ob er wohl für Asgard-Weekly schreibt.
11:14 Uhr
Endlich in Halle 1 und somit der Manga-Comic-Con angekommen, besuche ich zuerst die Signierstunde von Olivia Vieweg. Ich habe rein zufällig ihre Graphic Novel „Endzeit“ dabei, in der es um zwei Mädchen aus Weimar und deren Überlebenskampf in der Zombieapokalypse geht. Zu meinem Erstaunen signiert sie mir diese nicht nur, sondern zeichnet und koloriert sogar noch ein Bild. Auf ihre Nachfrage, was ich denn gerne hätte, antworte ich: „Was Gruseliges bitte!“. Ich bekomme einen blutigen Zombie und freue mich sehr.
11:58 Uhr
Ich habe mich bis ans andere Ende der Halle bis zur großen Bühne geschlängelt und sogar einen Sitzplatz ergattert. Gleich soll der große „Superhelden-, Superschurken- und Doctor-Who-Cosplay“-Wettbewerb beginnen. Vor allem wegen des letzten Teils der Wettbewerbsbezeichnung bin ich sehr gespannt.
12:01 Uhr
Der Moderator eröffnet das Event und macht erstmal Werbung für seinen YouTube-Kanal. Cool.
12:05 Uhr
Nach der obligatorischen „Mal sehen, ob auch dieses Publikum weiß wie man applaudiert“-Übung geht der Moderator nach einem dritten Jurymitglied aus dem Zuschauerraum auf die Suche. Die Ehre wird einer höchst motivierten Dame zuteil, die ihre Begründung, warum genau sie die Richtige für den Job ist, auswendig gelernt zu haben scheint. Sie wird einstimmig, mit dem Applaus – den wir ja zum Glück gerade geübt haben – ans Jury-Pult geklatscht.
12:12 Uhr
Der Wettbewerb beginnt. (Na endlich.) Wie zu erwarten war sind die Qualitäten der Performances und Kostüme gemischter Natur.
12:21 Uhr
Ein grünes, affenartiges Geschöpf, welches als „Beast Boy“ vorgestellt wurde, betritt die Bühne und singt den Teen Titans Intro Song als Playback in seinen Schwanz hinein. Auf die Frage, warum er genau diesen Charakter gewählt habe, antwortet er: „Naja, er ist wie ich: schüchtern, mag Wortwitze und ist tierlieb.“ Ein einstimmiges „Awww“ geht durch die Menge.
12:35 Uhr
Ich horche auf, da laut Moderator nun endlich das erste Doctor-Who-Cosplay an der Reihe ist. Allerdings stellt sich heraus, dass dieses nicht nur das erste, sondern dank Schneechaos auch das einzige auf der Bühne bleiben wird. Die Dame im T.A.R.D.I.S.-Kleid wird zwecks fehlender Konkurrenz also sofort zur Gewinnerin der Kategorie gekürt. „Huh…“ denke ich und verlasse den Wettbewerb.
12:40 Uhr
Wieder im Getümmel passiere ich Batman und den Joker, die sich einen Crêpe teilen. Hier ist die Welt noch in Ordnung.
12:55 Uhr
An einem sehr pinken und rüschigen Stand wird mir ein Los in die Hand gedrückt und ich gewinne… einen Lolli. Er schmeckt nach Kirsche und ich fühle mich bereits dreimal so Kawaii wie vorher.
13:00 Uhr
Ich habe mich zu einem Manga-Zeichenkurs verirrt. Der Großteil der Teilnehmer sieht jünger aus als 12 und die Kursleiterin ist Elsa, die Eiskönigin. Sie zeigt uns zuerst, wie man eine Hand malt. Ich bin grenzenlos überfordert. Kurz überlege ich einen Stinkefinger zu malen, besinne mich dann aber der Zehnjährigen neben mir und verwerfe den Plan.
13:15 Uhr
Königin Elsa sagt, unsere Figuren müssen auf keinen Fall perfekt sein. Puh. Na ein Glück.
13:23 Uhr
Sie empfiehlt mir, das zweite, asymmetrische Auge meines Manga-Mädchens unter einem schrägen Pony zu verstecken. Ich bin ein bisschen beleidigt.
13:48 Uhr
Das kleine Mädchen neben mir schaut auf meine Zeichnung und sagt: „Ach, wie schön! Das könnte ich niemals.“ Ich bin verdammt stolz.
14:05 Uhr
Weil ich unbedingt ein Foto mit einem gigantischen pinken Hasen machen musste, komme ich zu spät zu Workshop Nummer zwei: Origami. Da ich den Aufwärm-Kranich ohnehin verpasst habe, beschließe ich keine halben Sachen zu machen und entscheide mich ambitioniert für die Figur Kirschblüte.
14:15 Uhr
Mir fällt auf, dass ich für das Gebilde insgesamt fünf Blätter falten muss. Ich bereue alles.
14:38 Uhr
Die Kirschblüte ist fertig. Ich bereue nichts.
14:50 Uhr
Als Belohnung für meine astreine künstlerische Arbeit kaufe ich mir eine Matcha-Limo mit passendem Matcha-Pancake-Mochi und plane beides in der sonnigen Glashalle zu verzehren.
15:02 Uhr
Auf dem Weg treffe ich Eleven aus Stranger Things und erfahre, dass sie sich die Haare erst gestern abrasiert hat. Beim Cosplay macht man anscheinend auch keine halben Sachen.
15:08 Uhr
Getränk und Pancake schmecken so süß und eigentümlich wie erwartet, aber dann auch irgendwie ziemlich gut.
15:15 Uhr
Durch eine offene Tür zum Außengelände beobachte ich eine Schneeballschlacht zwischen Aria und Sansa Stark. Als ich mich gerade frage, wo wohl Jon Snow geblieben ist, rennt dieser auf das filmende Handy zu und ruft „Winter is heeeeeere!“. Zum Glück kam wenigstens der Norden vorbereitet auf das Wetter.
15:21 Uhr
Wieder in Halle 1 erfahre ich, dass der „Kyudo“-Kurs für traditionelles japanisches Bogenschießen ausgebucht ist und wende mich deshalb an Merida für eine kleine Einweisung.
15:32 Uhr
Ich passiere eine Menge, in die Gratis-Kram geworfen wird. Natürlich fange ich nichts.
15:40 Uhr
Nach dieser Enttäuschung begebe ich mich zur Entspannung in die Comic-Leseecke. Ich blättere durch „Blau ist eine warme Farbe“ von Julie Maroh, die Graphic Novel, auf welcher der gleichnamige Film beruht und entdecke die ein oder andere unterschlagene Szene.
16:14 Uhr
An einem Stand mit japanischen Snacks kann man „Kingyo Sukui“ spielen, wobei man mit einem Netz aus Papier so viele kleine Plastikfische wie möglich aus dem Wasser schöpfen muss, bevor das Papier reißt. Meine Technik ist grundlegend falsch. Ich fange drei Fische und das Netz reißt sofort.
16:20 Uhr
Mich auf meine wahren Talente besinnend besuche ich den Stand von Mega Manga Convention, wo man Dance Dance Revolution spielen kann. Ich hüpfe zusammen mit Sailor Jupiter von Pfeil zu Pfeil und es ist: SUPER.
16:50 Uhr
Noch im Spiele-Rausch besuche in die Nintendo Switch Insel und spiele ein Spiel namens „Arms“, bei dem man sich als Figuren mit Sprungfeder-Armen boxt. Es ist exakt so kurzweilig, wie es klingt.
17:05 Uhr
Ich leiste mir bei „Mario Kart 8 Deluxe“ einen erbitterten Wettkampf mit zwei Kindern, als einem der beiden eine Frau auf die Schulter klopft. „Wo warst du denn die ganze Zeit, Vladislav?! Du solltest vor anderthalb Stunden bei Oma am Treffpunkt sein. Die Polizei sucht schon nach dir!“. Der Junge legt beschämt seinen Controller hin und ich freue mich innerlich jetzt doch nicht Letzter werden zu müssen.
17:06 Uhr
Ein Polizist geht suchend an uns vorbei und ich frage, ob er einen kleinen Jungen namens Vladislav sucht und er nickt genervt. „Also der wurde gerade schon von seiner Mutter abgeführt“, sage ich und höre den Polizisten noch leise fluchend von dannen stapfen, während ich schließlich als Vorletzte über die Ziellinie fahre.
17:30 Uhr
Nach all der Anstrengung bin ich der Meinung mir eine Portion Pommes verdient zu haben.
17:40 Uhr
Ich sitze essend im Japanischen Teegarten und habe den Eindruck, der Bento-Sushi verzehrende Link neben mir ist höchst empört über meine Wahl.
17:45 Uhr
Die meisten Stände packen bereits ein oder werden abgebaut, auch so mancher Cosplayer schält sich am Rand der Halle bereits aus seinem Kostüm.
18:00 Uhr
Mit dem Gefühl sämtliche Möglichkeiten des letzten Tages ausgereizt zu haben, schäle auch ich mich wieder in meinen Wintermantel und trete hinaus. Es ist furchtbar kalt.
18:10 Uhr
In der vollen Bahn machen zwei Lokis ein Selfie zusammen. Der Kreis schließt sich. Ab ins Bett.
Fotos: lms
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