Teutonisches Leiden in drei Akten
Der spanische Skandalregisseur Calixto Bieito kleidet Wagners Schwergewicht „Tannhäuser“ in ein modernes Gewand. Doch wer darunter schaut, erblickt einen erstaunlich konservativen, belanglosen Kern.
Die Vorgeschichte der Premiere des „Tannhäuser“ am vergangenen Samstag an der Oper Leipzig gleicht ein wenig der dramatischen Reise ihrer eigenen Titelfigur. Ursprünglich von Katharina Wagner inszeniert, der Urenkelin Richard Wagners, wendet diese sich im Dezember 2017 vom Projekt ab, sodass kurz darauf der spanische Skandalregisseur Calixto Bieito in die Bresche springt. Mit Burkhard Fritz übernimmt einer der international gefragtesten Sänger seines Fachs die Rolle des Tannhäuser und Ulf Schirmer die musikalische Leitung.
War nun so das Bühnenwerk auf die Beine gestellt, vereitelte der unverhoffte Wintereinbruch am 17. März beinahe die gesamte Premiere. Noch am selben Morgen meldete sich ausgerechnet des Tannhäusers Stimme krank und die Venus erwachte mit einer Erkältung. Aus Wiesbaden eilte Stefan Vinker zur Rettung herbei, um die Hauptrolle ungeprobt zu übernehmen, dessen Zug blieb jedoch aufgrund der vereisten Schienen in Eisenach stecken. Die Ironie dahinter zu bemerken fällt nicht schwer, so ist es doch die Stadt der Wartburg, in der das Gros der Handlung der Oper spielt. Das letzte Stück per Taxi überwindend, erreichte er Leipzig schließlich eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. All das wurde dem Publikum im Vorfeld entschuldigend erläutert, dieses zeigte sich jedoch versöhnlich, gar amüsiert und bedankte sich bei Vinker am Ende mit zusätzlich donnerndem Applaus.
Unter die Reihen der Premierengäste gemischt, merkte man schnell, dass man hie und da von einem sprachlichen Gewirr unterschiedlichster Couleur umgeben war. Manch einer mit Opernglas und feinem Dandy-Zwirn versehen, diskutierte und stritt um die einzige Person, um die es an diesem Abend zu gehen schien: Calixto Bieito, dessen Historie beweist, dass er sich bei weitem nicht davor scheut, gängige Bühnenkonventionen mit überspitzter Gewaltdarstellung und stark sexualisiertem Schauspiel zu brechen. Umso erstaunter ist man, dass sich seine Inszenierung des Tannhäusers als äußerst zahm und konservativ erweist. Lediglich selten gestreute kryptische Andeutungen im Schauspiel deuten daraufhin, welchen Interpretationsspielraum die schwergewichtige und epochale Vorlage doch bietet. Denn Tannhäuser ist nicht nur die tragische Reise eines Helden auf der Suche nach Erlösung von göttlicher Liebe und Hinwendung zur einfachen, menschlichen Nähe, sondern kann in seinen drei umfangreichen Akten durchaus Projektionsfläche für die gesellschaftlichen Problematiken der damaligen wie auch heutigen Zeit sein. Dieses Interpretationspotenzial muss nicht aufgezwungen, kann aber geschickt ausgeschöpft werden.
Bei Calixto Bieitos Inszenierung hingegen wird lediglich die Geduld des Zuschauers ausgeschöpft. Denn dieser ist sich nie sicher, ob hinter diesem bedeutungsschwangeren Gewand überhaupt etwas stecken mag. Modern sind hier nur die Kostüme, die lediglich Abziehbilder unspektakulärer Alltags- und Abendgarderobe sind. Das Schauspiel ist in seinen einzelnen Teilen überzeugend, im Zusammenspiel aber komplett disharmonisch. Statt den gerade agierenden wichtigsten Akteur und dessen Handlungen und Gesang begleitend zu unterstreichen, werden die anderen Figuren zu teilnahmslosem Dekor degradiert. Die Dramatik der eigentlichen Handlung wird nahezu ausschließlich über die grandiose Musik transportiert, während das Geschehen auf der Bühne in einer Dynamik vonstatten geht, die man bestenfalls als schleppend bezeichnen kann. Spannungs- und energielos wird hier vor sich hin gelitten. Auch das Bühnenbild weiß nur im dritten Akt zu überzeugen, vermag es doch durch die Kombination der Bühnenelemente aus den beiden vorhergehenden Akten und mittels geschickter Beleuchtung eine erstaunliche Räumlichkeit und Tiefenwirkung zu erzeugen.
Mag die Inszenierung Bieitos für Aug und Geiste größtenteils belanglos sein, so können sich letztendlich die Ohren auf ein klangliches Feuerwerk freuen. Sowohl Sänger als auch Orchestergraben überzeugen vorbehaltlos und lassen des Altmeisters Musik erklingen, dass es eine Freude ist.
Den wahren Sängerkrieg lieferte jedoch schlussendlich nicht die Bühne sondern das Publikum beim Pausen- und Schlussapplaus. Im teilweisen frenetischen Jubel versuchten sich einzelne Kontrahenten mit teutonischer Inbrunst in ihren Bravo- und Buhrufen derart zu übertönen, dass es einem das Mark erschütterte. Denn Bieito spaltet Kritiker wie Publikum. Und so ruft man ihn, dem Tannhäuser gleich, spätestens im dritten Akt gedanklich bittend um Erlösung an: „Die Zeit, die ich hier weil´, ich kann sie nicht ermessen. Aus deinem Reiche muss ich fliehn, – O König, Gott! Lass mich ziehn!“
Fotos: Oper Leipzig © Tom Schulze
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