• Menü
  • Kolumne
  • Ihre Frau stehen

    Kolumnist Paul pinkelt mit Passion. Am liebsten im Stehen. Heute nimmt er euch mit in die Welt der Urinale.

    Diese Kolumne läuft Gefahr, sehr männlich zu werden. Nicht jedoch vor Muskeln und Testosteron strotzend, sondern höchstens vor Urin. Es ist nämlich so, dass Urinale, in scheingallizismischen1 Pissoirs befindlich, die wenigsten Frauen tangieren. Nur kurz zur Klärung: Pissoirs bezeichnen die Örtlichkeiten, in denen Urinale zur Blasenlockerung zur Verfügung stehen.
    Diese Zeilen dienen also der Berichterstattung von Angelegenheiten, die manche nicht interessieren müssten, aber vielleicht dennoch gelesen werden wollen. Ein wenig wie das Privatleben Prominenter.

    Für mich steht fest: Das Pissoir ist Zeichen unserer Zeit. Es durchtrennt feinen Schnittes die biologischen Geschlechter und die Stände- von der Sitzgesellschaft. Es erzählt von der Eitelkeit des Mannes, von Selektion und Heuchelei. Freude und Schrecken zugleich.
    Es beginnt mit der Stehordnung. Nach strikter Ordnung werden die Becken abwechselnd besetzt und freigelassen. Sobald diese horizontale Ordnung gestört ist, beginnt man zu schwitzen. Die Angst, betrachtet zu werden ist zu groß. So erzählt man sich auch die alternative Erschaffungsgeschichte, nach der Eva nicht aus der Rippe Adams entstanden sei, sondern zwei Prototypen ‚Mensch‘ als Mann geschaffen wurden, der eine dem anderen aber was weggeguckt habe.

    Kolumnist und Denker

    Kolumnist Paul

    So manches Mal beobachte ich am Potte des Mannes stehend eine eintretende Person mich kurz beäugend zögernd in die Kabine stapfen. Die Heuchelei ist im vollen Gange, denn die Prämisse, nur stehendes Urinieren sei männlich, muss erfüllt werden, während sich Angst vor Pinkelneid bahnbricht und sich stehend über das Sitzklo verteilt. Hübsch ironisch und feucht beim Sitzen. Doch ist es nur eine Schattenseite. Ein weiteres Lowlight – sich stauende Urinale.
    Das sogenannte ‚Kurzschlusskaugummi‘ lässt mir noch beim Schreiben dieser Zeilen einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. Einige Individuen entschließen sich, ihr entwertetes Kaugummi beim Pinkeln vornüber fallen zu lassen. Inmitten des Pinkelbeckennetzes, inmitten der Ignoranz. Vergnügt treten die Übeltäter aus dem Klo, die Fluten über den Rand und die Reinigungskraft behandschuht in die Toiletten. Nur einmal versöhnte mich eine zurückgelassene Rose oberhalb eines Pissoirs und die schönste Erfindung der Deutschen, das Kopfkino.
    Gäbe es bloß neben physischer auch moralische Standhaftigkeit im Klobereich.

    Doch auch wenn mit Pinkelbecken manches Mal Leid verbunden ist, so werden sie mit Blick auf Kloschlangen zum Symbol für Freiheit und wortwörtlichem Fort-Schritt. Deshalb ist es umso erschreckender, dass im Zuge der Gleichstellung erste Lokalitäten beginnen, jene Erleichterungsorte zu verbannen. Ein Rückschritt in die Sitzhaftigkeit des Menschen im Namen des Fortschritts. So als beraubte man aus Wettbewerbsgründen dem männlichen Pfau sein Rad. Viel passender die Alternativlösung, geschlechterunabhängig Sitz- und Stehplätze anzubieten, wie es zum Teil vorkommt.
    Zum Glück gibt es auch andere Strategien zur Rettung der Klolandschaft namens Unisexurinale, Urinellas und Zielscheiben in Form von „abzuschießenden“ Fliegen und Fußballtoren.
    Ich bin mir sicher – es gibt Hoffnung für beide Geschlechter.

     

    1 Herrliches Wort. Bedeutung: dem Französischen entlehnte Worteinheit

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.