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  • Kein zweites Themar

    Im April geriet das sächsische Ostritz in den Medienfokus: 1.000 Neonazis feierten ein Festival, 3.000 Menschen hielten mit Punkrock und Bratwurst dagegen. Ein Bilanzbericht.

    Vor einem Monat feierten rund 1.000 Neonazis Hitlers Geburtstag mit einem zweitägigen „Schild und Schwert“-Festival im ostsächsischen Städtchen Ostritz. Nicht weit entfernt vom Festivalgelände setzten etwa 3.000 Menschen mit zwei verschiedenen Gegenveranstaltungen ein Zeichen gegen Rechts. Wenige Meter neben dem privaten Gelände, auf dem die Neonazis nach eigenen Angaben „Balladenabende“ und „Kampfkunstvorführungen“ abhielten, hatte Mirko Schultze, Landtagsabgeordneter der LINKEN, die Initiative „Rechts rockt nicht“ angemeldet. In sicherer Entfernung ließen derweil Teilnehmer des Ostritzer „Friedensfestes“ unter Schirmherr Michael Kretschmer (CDU) auf dem Marktplatz weiße Tauben, schillernde Seifenblasen und bunte Luftballons fliegen. Wer von „Rechts rockt nicht“ zum „Friedensfest“ gehen wollte, wurde von der Polizei dazu angehalten, Flaggen mit politischen Botschaften abzulegen.

    Seifenblasen gegen Rechts

    Schillernde Seifenblasen auf dem „Friedensfest“ des Internationalen Begegnungszentrums

    Nach zwei Tagen konnten die Ostritzer aufatmen: Der Medienrummel war vorbei, die Gegendemonstranten und Nazis reisten endlich ab. Mit ihnen hunderte Journalisten und etwa 3.000 Polizeibeamte aus ganz Deutschland, die sich das Wochenende lang die Beine in den Bauch gestanden hatten. Aber vor allem: Ostritz, das sonst nur einmal jährlich im Fokus der Lokalpresse steht, wenn katholische Osterreiter die Auferstehung Jesu Christi verkünden, war nicht zu einem zweiten Themar geworden. Schon gar nicht zu einem zweiten G20-Chaos. „Sachsen zeigt Stärke gegen Rechts“, titelte die Sächsische Zeitung. ZEIT ONLINE rief „Halleluja, Ostritz!“ und lobte, dass sich in der kleinen Grenzstadt der „sächsische Anstand“ gezeigt habe. Ostritz war friedlich geblieben.

    „Natürlich hatten wir Angst, dass Hamburger Autonome kommen“, erklärt Philipp Funke vom Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“, das mit drei Bussen anreiste, um mit bunten Plakaten und zaghaft angestimmten Gesängen „Solidarität mit Ostritz“ zu demonstrieren. Drei Wochen nach Ostritz sitzt der Leipziger Student auf einer Wiese im Rabet und blinzelt gegen die Sonne. Im Vorfeld habe er verschlüsselte Mails an Autonome geschickt, damit sie sich „an das Aktionsformat halten“.

    Funke nennt Ostritz einen „absoluten Erfolg“, immer wieder nimmt er die Worte „Niedrigschwelligkeit“ und „Anschlussfähigkeit“ in den Mund. Zum Einen habe die Zusammenarbeit mit Ortsansässigen, die lokale Verankerung der „Rechts rockt nicht“-Gegenveranstaltung, einen Grundstein gelegt. Sieben von 30 Organisatoren auf einem antifaschistischen Vernetzungstreffen vorab seien aus dem Raum Ostsachsen gekommen. Am Wochenende selbst halfen viele junge Ostritzer beim Ausschank, Frauen in den Mittfünfzigern schlenderten über das Antifa-Gelände und schickten ihre Enkel dort zum Kinderschminken. „Es ist schade, dass am Ende nur linke Punkbands bei uns gespielt haben. Warum haben wir nicht Roland Kaiser angefragt?“, kommentiert Funke die Auswahl der Kulturbeiträge auf dem „Rechts rockt nicht“-Gelände. Er sagt es mit vollem Ernst.

    Regenbogenflagge gegen Rechts

    Bunter Protest auf dem Gelände der linken Initiative „Rechts rockt nicht“

    Besonders betont Funke, dass die Antifa dort nicht als vermummter schwarzer Block aufgetreten sei. „Für uns war klar: Entweder wir fahren bunt hin oder gar nicht“, erklärt er mit Nachdruck. Als die circa 150 Leute von „Leipzig nimmt Platz“ in Ostritz aufschlugen, übertönten „Nie, nie, nie / Nie wieder Deutschland“-Gesänge aus dem Hintergrund zwar die zaghaften Solidaritätsrufe der Leipziger. Doch am Ende des Tages gingen Bilder von bunten Plakaten durch die Presse. Keine vermummten Steinewerfer. Keine Auseinandersetzungen mit der Polizei. Kein Heidenau, kein Hamburg. „Das ist der größte Erfolg des Tages“, meint Funke stolz.

    Doch warum musste es zwei Gegenveranstaltungen geben, wenn beide im Grunde für dieselbe Sache einstanden? Warum einmal gegen Rechts und einmal für den Frieden? Laut Funke sei eine gemeinsame Sache an beiden Seiten gescheitert. Es habe anfangs Bestrebungen gegeben, sich mit den Organisatoren des Internationalen Begegnungszentrums (IBZ) in Ostritz zusammenzuschließen, die das „Friedensfest“ angemeldet hatten. Einige Hardliner innerhalb der Antifa hätten aber auch klar dagegengehalten. Letztendlich scheiterte eine gemeinsame Gegenveranstaltung, als Ministerpräsident Kretschmer als Schirmherr des „Friedensfestes“ bekanntgegeben wurde. In Ostritz sprach er davon, dass „jegliche Formen des Extremismus“ nur bekämpft werden können, wenn dieser Kampf von der „Mitte der Gesellschaft“ ausgehe. Die Leute sollten „gemeinsam ein klares Zeichen setzen“.

    Polizeistaffel in Ostritz

    Polizeiaufgebot vor dem Hotel „Neißeblick“, auf dessen Gelände die Neonazis abgeschirmt von der Außenwelt feierten

    Ein gemeinsames Label, auf dass man sich in Ostritz einigen konnte, gab es schließlich nicht. „Es waren einfach zwei verschiedene Protestformen, die leider nicht zueinandergepasst haben“, merkt Funke von „Leipzig nimmt Platz“ rückblickend an. Für die Zukunft wünsche er sich, dass aus verschiedenen Protestformen eine werden könne. Für Anfang November planen die Neonazis erneut ein „Schild und Schwert“-Festival. Zeit, sich zusammen zu tun.

    Neonazis am Bahnhof der Grenzstadt Ostritz auf polnischer Seite (Krzewina Zgorzelecka)
    Polizeikontrollen am Bahnübergang
    Medien- und Polizeiaufgebot vor dem Neonazi-Festivalgelände
    Antifa-Graffiti
    Buntes Treiben auf dem „Rechts rockt nicht“-Gelände
    Malen gegen Rechts auf dem „Friedensfest“ des IBZ auf dem Marktplatz
    Nazi-Campingplatz an der Neiße
    Menschenketten aus Pappe auf dem „Friedensfest“ auf dem Marktplatz

    Fotos: Luise Mosig

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