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  • Mit der Freiheit kam die Kündigung

    In der Mai-Ausgabe 2013 berichtete student! über den Uni-Alltag an der ehemaligen Karl-Marx-Universität Leipzig. Doch was wurde aus den Wissenschaftlern, die in der DDR Karriere machten?

    Heute erinnert nur noch Weniges an die nähere Vergangenheit der Universität Leipzig. Das riesige Bronzerelief des ehemaligen Namensgebers Karl Marx ist schon lange nicht mehr da, die gesprengte Paulinerkirche wurde wiederaufgebaut und Studiengänge wie „Wissenschaftlicher Kommunismus“ und „Marxismus-Leninismus“ sucht man ebenfalls vergebens.

    Anfang der 1990er Jahre schlug die Stunde des Neuen und des Umbruchs in Leipzig. Mit einem Mal kamen nicht nur Immobilieninvestoren und Geschäftsmänner, die den Ossis den Kapitalismus anschaulich näherbrachten, sondern auch Wissenschaftlerinnen und Dozenten aus dem Westen, die in Leipzig ihre Chance auf die langersehnte Professur sahen. Denn viele DDR-Professoren waren entweder durch Tätigkeiten für die Stasi diskreditiert oder hatten einfach weniger Fachkompetenz als die jungen Konkurrenten aus Westdeutschland.

     

    Alle mussten sich neu bewerben

    Um zu überprüfen, wer von den ostdeutschen Professoren in Leipzig bleiben durfte und wer nicht, wurden nach der Wende sogenannte Fach- und Personalkommissionen eingerichtet. Die Personalkommissionen sollten über mögliches moralisches Fehlverhalten der Wissenschaftler in der DDR urteilen. In diesen Kommissionen saßen zur Hälfte Universitätsmitarbeiter und zur anderen Hälfte Personen des öffentlichen Lebens aus Leipzig. Die Fachkommissionen wurden mit einheimischen und westdeutschen Fachleuten besetzt, die über die wissenschaftliche Eignung der DDR-Professorinnen und Professoren ein Urteil fällen sollten. Die Kommissionsurteile gingen im Fall der Uni Leipzig direkt ans Wissenschaftsministerium in Dresden und waren schließlich Grundlage dafür, ob Professoren berufen wurden oder nicht.

    Cornelius Weiss lehrte schon zu DDR-Zeiten an der Uni Leipzig und wurde später zum ersten Rektor der Universität nach der Wiedervereinigung gewählt. In den Fachkommissionen sei seiner Ansicht nach die berühmte westdeutsche Arroganz zu beobachten gewesen: „Da führten sich die Ostdeutschen wie die Lehrlinge und die Herrschaften aus dem Westen ein bisschen wie die Lehrer auf.“ Doch das sei nicht weiter schlimm gewesen, meint Weiss. Die große Ungerechtigkeit sei später die verpflichtende Neuausschreibung der Professuren gewesen. „Wir mussten uns alle neu bewerben, also auch altgediente Professoren waren ihre Stelle erstmal los. Da konnte das Fachkommissionsurteil noch so positiv gewesen sein. Und zu dieser Zeit gab es eine riesige Menge an arbeitslosen Akademikern, die sogenannten Privatdozenten. Die meldeten sich in Massen und da kamen auf eine Ausschreibung auch mal 50 Bewerber.“

    Das Hauptgebäude der Uni Leipzig am Augustusplatz

    Das Hauptgebäude der Universität Leipzig nach der Demontage der Installation „Erinnerung an die Sprengung der Paulinerkirche“ (Foto: Carsten Heckmann/Universität Leipzig)

    Keine Alternative zu den Entlassungen

    Und die jungen Bewerber hatten natürlich oftmals mehr anzubieten als ihre Kollegen aus der DDR. Denn Englischkenntnisse, Harvard-Fellowships und die Aussicht auf Drittmittel waren jetzt sehr viel wichtiger als Gastprofessuren in Leningrad. Meistens wurden dann die Westdeutschen in den Berufungskommissionen auf den ersten Platz gesetzt. Die ostdeutschen Wissenschaftler erhielten den zweiten oder dritten Platz, doch nur in seltenen Fällen wurde der Ruf vom Erstplatzierten abgelehnt. Oft brachten die Neuberufenen dann noch zwei oder drei Mitarbeiter von ihrer vorherigen Universität mit. „Das hatte Spätfolgen, weil dann auch die zweite Generation aus dem Westen mit rüber schwappte“, erklärt Weiss.

    Der wissenschaftliche Standard sei in der DDR aber auch einfach viel niedriger gewesen, wie Hartmut Elsenhans, Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig, zu Bedenken gibt. Elsenhans kam 1993 aus Konstanz nach Leipzig und war einer der Gründungsprofessoren des neuen Instituts für Politikwissenschaft. Vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften hätte er sich keine andere Möglichkeit vorstellen können, als die meisten ostdeutschen Wissenschaftler zu entlassen: „Entweder man baute dem internationalen Standard entsprechende Institute für Gesellschaftswissenschaften im Osten auf, oder die einigermaßen informierten Studenten aus Ostdeutschland wären in Massen nach Westdeutschland gegangen. Denn mit einem ostdeutschen Examen hätten sie die dauerhafte Arbeitslosigkeit gewählt.“

     

    Akademische Landnahme

    Elsenhans macht deutlich, dass man sich über den Wiedervereinigungsprozess keine Illusionen machen dürfe. „Die ostdeutsche Bevölkerung hat mit großer Mehrheit beschlossen, ihre herrschende Klasse abzuservieren. Und dafür hat sie sich eine andere herrschende Klasse beschaffen können, die es in Westdeutschland gab. Dass die, die sie dann abbekommen haben, nicht gerade die Besten waren, ist eine andere Geschichte.“ Der Politikwissenschaftler betont, dass in der DDR vor allem in den Sozialwissenschaften eher nach dem Kriterium der Regimetreue als nach der wissenschaftlichen Brillanz über eine Beförderung entschieden wurde und dass es nicht unfair gewesen sei, wenn gerade diese Wissenschaftler dann auch ihren Job verloren hätten. In den Naturwissenschaften blieben nach der Wiedervereinigung mehr Ostdeutsche auf Ihrem Posten, die Geistes- und Sozialwissenschaften sind allerdings noch heute im Osten größtenteils westdeutsch geprägt.

    Einerseits ist es verständlich, dass sich ein Professor für Marxismus-Leninismus nicht für die Politikwissenschaften eignet und Dozenten für sozialistische Ökonomie nur schwer auf Online-Marketing umgeschult werden können. Entlassungen von Stasi-Informanten und Stützen des DDR-Regimes sind auch nachvollziehbar. Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass eine akademische Landnahme stattgefunden hat, die bis heute Spuren hinterlässt. Das liegt auch daran, dass sich Ostdeutsche in geringerem Maße für eine akademische Karriere entscheiden. Gleichzeitig hat eine deutschlandweite Durchmischung der Universitäten nie stattgefunden. Viele Westdeutsche Professoren kamen in den Osten, viele ostdeutsche Wissenschaftler wurden arbeitslos.

    Der ehemaliger Direktor Cornelius Weiss in seinem Wohnzimmer in Leipzig

    Ex-Rektor Cornelius Weiss in seiner Wohnung in Stötteritz (Foto: Rewert Hoffer)

    Alte Rechnungen ruhen lassen

    Vieles von dem, was nach der Wiedervereinigung an der Universität Leipzig geschah, hält der ehemalige Rektor Cornelius Weiss nicht per se für schlecht. Ihn stört die Einseitigkeit des ganzen Prozesses. Dass etwa nach der Wende Fach- und Personalkommissionen eingesetzt wurden, sei eine gute Idee gewesen. Doch er hätte es sich gewünscht, dass das gleiche Verfahren auch im Westen durchgeführt worden wäre. Dieses Mal mit ostdeutschen Wissenschaftlern, die die westdeutschen Professoren begutachtet hätten. Obwohl der Umbruch an der Uni Leipzig oft nicht auf Augenhöhe verlief, hegt Weiss die Hoffnung, dass sich das Ungleichgewicht von selbst ausbalanciert: „Bei den jungen Leuten merkt man sowieso keinen Unterschied zwischen Ost und West. Ich denke, dass sich das durchmischen wird, die alten Rechnungen sollte man ruhen lassen.“

     

    Titelfoto: Mirko Vieser/Universität Leipzig

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