Danke, Christoph
Manchmal findet man das wahre Glück nicht auf Carpe-Diem-Kalendern, sondern im Alltag. Kolumnistin Nathalie fand es bei Aldi an der Kasse – und es war völlig kostenlos.
Es gibt da diesen Kerl. Am Anfang hat mich sein Dialekt etwas gestört, oft hatte ich Probleme ihn zu verstehen. Mittlerweile jedoch schätze ich seine Anwesenheit in meinem Leben unglaublich. Jede Woche freue ich mich über unsere meist doch relativ spontane Begegnung. Wir kennen uns aus dem Aldi. Aber nein, die Person von der ich rede, ist kein Teil irgendwelcher Frühlingsgefühle: Es ist mein Lieblingsverkäufer vom Supermarkt um die Ecke. Nennen wir ihn Christoph, denn seinen Vornamen kenne ich leider nicht. Ich wohne in dieser Gegend mittlerweile fast zwei Jahre und angesichts meines baldigen Umzugs versuche ich in letzter Zeit jede Gelegenheit zu nutzen, um Christoph jenes freundliche Lächeln zurückzugeben, dass er mir an so vielen trüben Tagen geschenkt hat – was heutzutage ja längst keine Selbstverständlichkeit ist. Lassen mir andere Verkäufer beim Multi-Tasking zwischen Kartenzahlung und Korbeinräumen nach dem letzten Artikel oft kaum Zeit zum Luftholen, schiebt Christoph mir etwa mit verständnisvollem Blick die Bananen hinüber, die ich sonst wahrscheinlich wieder aus lauter Angst vor genervten Blicken vergessen hätte.
Als ich neulich einmal wieder kurz nach 22 Uhr erschöpft von einem langen Tag in meine Straße einbog, sah ich Christoph mit zwei Kolleginnen aus dem Laden kommen. Fröhlich plauschend zündete er sich gerade die Feierabend-Zigarette an. Man merke an, dass mein Aldi eigentlich um 21 Uhr geschlossen hat. Und erst da wurde mir bewusst, dass wir viel zu oft viel zu beschäftigt sind, um Dankbarkeit für die Menschen aufzubringen, die aus einem Mittelfinger-Mittwoch einen zumindest mittelmäßigen Mittwoch machen. Meist kennen wir ihre Namen gar nicht und wahrscheinlich würden sie selbst uns auf der Straße nie wiedererkennen bei all den freundlichen und weniger freundlichen Gesichtern, denen sie stündlich einen schönen Tag wünschen. Aus meiner eigenen Arbeit im Verkauf ist mir natürlich bewusst, dass diese Floskel besonders bei bestimmten Typen von Mensch tatsächlich irgendwann nur ein Automatismus ist. Wenn Christoph allerdings an einem Montagabend gegen 18 Uhr – die Regale sind leer, die Schlange mit genervten Gestalten wächst stetig – sein gewohntes „Tschüssi“ in den Laden sächselt, wirkt das erfrischenderweise nicht aufgesetzt. Dabei hat er vermutlich noch drei Stunden vor sich, in denen er Wildfremden vorgaukeln soll, dass er sich nicht mindestens genauso über einen zweiten Sonntag gefreut hätte.
Ich möchte hier gar keine Klassenteilung vornehmen, wir alle arbeiten hart und gerade als Studierende ist vielen so ein Job im Einzelhandel auch gar nicht fremd. Doch sich ab und an bewusst zu machen, dass wir letztendlich alle Teil unseres eigenen kleinen Hamsterrads sind und der Lauf darin nur Sinn ergibt, wenn wir uns gegenseitig lächelnd zuwinken – das ist die Kunst. Deshalb möchte ich mein Wort zum Sonntag heute an Christoph und an all die Menschen richten, die in dieser Welt – wo an jeder Ecke ein Plakat entweder mit Depressionshotlines oder mit Werbung für realitätsvernebelnde Getränke wartet – ihren Optimismus bewahren. Danke, dass ihr uns erinnert, dass Alltag schon vom Namen her ein wiederkehrendes Konzept ist, aus dem wir folglich selbst das Beste machen müssen. Das mag jetzt nach Schwarzmalerei klingen. Eigentlich will ich damit aber nur sagen, dass Glücklichsein keine Schande ist. Nur weil alle Welt über nicht abgearbeitete To-Do-Listen jammert, müssen wir nicht miteinsteigen. Wir können auch einfach mal jemandem einen schönen Sonntag wünschen, es so meinen und selbst den Tag genießen. Deshalb, auch wenn du es wahrscheinlich nie lesen wirst: Danke, Christoph.
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