„Klotzen, nicht kleckern!“
Die Architektur der Städte spiegelt auch immer die Mentalität ihrer Bewohner wider. Warum die Deutschen mehr Mut zu Veränderung beweisen sollten, erfahrt ihr in der heutigen Sonntagskolumne.
Im Architekturmuseum in Frankfurt am Main wird momentan in einer umfangreichen Sonderausstellung über den spektakulären Neubau des renommierten Frankfurter Schauspiels und der Oper diskutiert. An einer Pinnwand können Bürger der Stadt ihre Meinung zu den vorgelegten Plänen vermerken oder eigene Vorschläge erbringen. Als ich dieses wilde Konvolut an kleineren und größeren Zettelchen näher zu betrachten begann, erwartete ich eine zeternde Orgie aus jammernden Ergüssen darüber, wie man denn das Stadtbild nur so verschandeln könne. Doch weit gefehlt: Nahezu ausnahmslos schienen die Frankfurter dem gewagten Neubau mitten im Zentrum der Stadt positiv gegenüber gestimmt zu sein. Eine ältere Dame, welche sich ebenso dem Studium dieser Zettelchen widmete, kommentierte trocken: „Das Hochhaus könnte ruhig noch höher sein. Klotzen, nicht kleckern – wir sind Frankfurt!“.
Eine solch selbstbewusste Haltung der Bürger neuen, gewagten Bauprojekten gegenüber ist in Deutschland eigentlich eine Seltenheit. Denn mehr oder weniger unbewusst definieren und identifizieren sich die Leute natürlich über das Stadtbild ihrer eigenen Heimat. Und gleichzeitig spiegelt dieses ebenso die Mentalität ihrer Bewohner wider. Während in der Elbflorenz Dresden nostalgischer Barockkitsch zelebriert wird (dass Florenz eigentlich die Ursuppe der Renaissance ist, sei mal dahingestellt) und schon der Neubau eines zehngeschossigen Wohngebäudes die Anwohner in Rage versetzt, wird in Frankfurt mit viel Toleranz und Gelassenheit die eigene architektonische sowie kulturelle Diversität gefeiert. Dort entschieden sich die Bürger für die Zukunft und Vielfalt, in Dresden blickt man sehnsüchtig in die Vergangenheit zurück und sucht die Romantik. So wurde das eine zum amerikanistischen, etwas anrüchigen Großstadtdschungel, das andere zum wohl behüteten Präservativ der Geschichte. Man muss kein Soziologe sein, um dabei Querverbindungen zu bestimmten politischen Tendenzen zu ziehen. Doch beides hat seine Reize und ein jeder kann für sich entscheiden, woran ihm mehr gelegen ist.
Denn wie immer gilt es den goldenen Mittelweg zu finden und in dieser Beziehung sind Deutschlands Städte eher europäisches Schlusslicht. Wirft man den Blick nach Kopenhagen, Amsterdam oder Oslo, so merkt man schnell, dass man dort versteht, wie man alt und neu harmonisch und symbiotisch miteinander verbinden kann. Während sich die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde hierzulande in allzu oft biederem Klein-Klein verheddert, bauen sich die Athener der Krise zum Trotz ein fulminantes, riesiges neues Kulturzentrum, welches gleichzeitig ein auch für jeden Bürger frei zugänglicher Stadtpark ist. Für solche wegweisenden Großprojekte braucht es nicht nur die findige Expertise der entsprechenden Architekturbüros und Stadtplanungsämter, sondern auch die Bereitschaft der Bevölkerung, sich zu öffnen und den Mumm zu haben, solche risikoreichen Experimente einzugehen und nicht auf dem Altbekannten zu verharren. Denn was einem erst fremd und anders erscheint, muss dies nicht bleiben und kann bereichernd eingebunden werden. Dass das auch hierzulande funktioniert, haben die Hamburger mit ihrer Elbphilharmonie klar und deutlich bewiesen. Lange verhöhnt und verlacht, ist die „Elphi“ heute unumstrittenen das prägendste Wahrzeichen der Stadt. Doch leider bleibt sie momentan noch eher eine Ausnahme: Die Münchener entschieden just, dass man nicht höher als die eigene Frauenkirche bauen dürfe und die Berliner werden sich ihrem Status als Weltmetropole architektonisch nicht gewahr. Auch hier fährt man lieber Schmalspur: Der „Alex“ bleibt eine schäbig-charmante Ostruine, stattdessen wird des Kaisers Schloss wiederaufgebaut und verordnet, dass künftige Hochhäuser die 130-Meter-Marke nicht überschreiten dürfen. Offen gesagt ist das einfach nur peinlich und spiegelt den heutigen neo-konservativen Zeitgeist wider.
Über so etwas würde die rüstige alte Dame aus dem Museum wahrscheinlich nur lachen, mit dem Kopf schütteln und auf herbstem Hessisch ein altes Frankfurter Sprichwort zitieren: „Es will merr net in mein Kopp enei; Wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!“
Foto: Oslo Opera House / Oliver Cole (Wikimedia Commons)
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