Schwarz-Rot-Doof
Deutschland ist mal wieder im Fußballfieber. Doch nicht jeder läuft freudentaumelnd mit schwarz-rot-goldener Brille durch die Gegend. Redakteurin Luise Bottin geht der WM-Hype mächtig auf die Nerven.
Der Ball ist rund und ein Spiel dauert unendlich lange. Das ist zumindest immer mein Gefühl, wenn ich von Freunden gezwungen werde, ein Fußballspiel anzugucken und dabei jede Minute genervt auf die Uhr schaue. Und wie alle vier Jahre sehe ich mich momentan mit einem persönlichen Albtraum konfrontiert: Ich bin Teil der sehr kleinen Gemeinschaft, die vom ganzen WM-Wahnsinn nur noch frustriert ist. Ich traue mich kaum zu schreiben, dass mir der Fußball-Hype gewaltig auf die Nerven geht. Wird man dann nicht des Landes verwiesen? Tja, das Risiko gehe ich ein: Der Fußball-Hype geht mir gewaltig auf die Nerven. Das hat nichts direkt mit dem Sport zu tun, denn ich habe nichts gegen Fußball. Ich kann damit nur ebenso wenig anfangen wie mit Sportakrobatik, Golf oder Unterwasser-Frisbee. Der Unterschied ist: Halte ich mich vom Wettkampfort fern und lasse den Fernseher aus, verschwinden die US-Open in einem schwarzen Loch meiner Wahrnehmung.
Nicht so, wenn Fußball-WM ist. Ich kann nicht den Ton ausschalten, wenn das „Tooooor!“ durch die ganze Straße hallt. Ich kann keine Zeitung aufschlagen, ohne dass mir die Ergebnisse des Vortags ins Gesicht springen. Ich kann nicht mal mehr einkaufen gehen, ohne eine Manuel-Neuer-Sammelkarte zusammen mit dem Kassenbon in die Hand gedrückt zu bekommen. Denn schon viele Wochen vor der WM verkommt die Nationalmannschaft zu einem emotionslosen Marketingobjekt, das jedes Produkt im gesamten Handel zu überfallen scheint. In meinem privaten Umfeld gibt es schlicht keine Menschen, die meine Langeweile angesichts Teamaufstellungen und Titelverteidigung teilen. Im Gegenteil: Mir wird von Fangesängen vorgeschwärmt, von frenetischem Jubel und einem unvergleichlichen Gefühl von Einheit und Zusammenhalt. Klingt theoretisch super, aber die WM ist ein Massenspektakel, das diejenigen einsam macht, die nicht daran teilhaben wollen. Ich fühle mich als Außenseiter und Spielverderber.
Ich habe Schuldgefühle, weil mich eine riesige Leinwand, Bierpfützen am Boden und brüllende Fans nicht für 90 Minuten alle Probleme vergessen lassen. Public Viewing nervt Fußballmuffel wie mich. Und ja, Fußballmuffel nerven die Hardcore-Fans. Wir belästigen euch mit dämlichen Fragen wie „In welcher Farbe spielt Deutschland?“ und stöhnen genervt auf, wenn das Spiel verlängert wird. Deswegen halten wir uns meist fern. Auch dieses Jahr werde ich wieder ungeduldig warten bis die vier Wochen Ausnahmezustand vorbei sind. Aber etwas Gutes hat es ja: Während alle anderen vor den Leinwänden hängen, kann man ganz gemütlich durch menschenleere Straßen wandern. Ab und zu trifft man einen Gleichgesinnten mit dem man dann zusammen Frust schieben und T-Shirts mit klaren Statements gegen den WM-Hype bestellen kann. Die WM eint eben nicht nur ihre Fans, sondern auch ihre Gegner.
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