Ohne Alkohol auf dem Hurricane-Festival
Dosenbier ist üblicherweise die Nummer Eins auf jeder Festival-Packliste. Festival ohne Alkohol ist aber gar nicht so verrückt, wie ihr vielleicht denkt. Ein Erfahrungsbericht. Nachmachen erlaubt.
„Geht’s euch gut, Leute? Seid ihr besoffen?“ Juju und Nura von SXTN ernten tosenden Applaus. Und sie sind nicht die einzigen, die auf dem Hurricane-Festival in Scheeßel mit Alkoholanspielungen punkten (möchten). Bereits der erste Pre-Festival-Act Radio Havanna kündigt am Donnerstagabend mehrere Songs als „Lieder übers Alkoholtrinken“ an, Delta Radio stellt eine „Schnapsschüsse“ getaufte Fotobox auf und Tonbandgerät fühlen sich „heimelig“, weil das Publikum bei ihrem Auftritt am Sonntagmittag im Regen schon ein bisschen angetrunken ist. Alkohol ist fester Bestandteil des Biotop Festival. Unverbindliche Empfehlung: Es geht auch ohne.
Camp
„Ja, Leute, ich verbringe das Festival wirklich ohne Alkohol“ ist der Satz, den ich gefühlt 35.000 Mal täglich auf den Lippen habe. Mein Camp versucht hartnäckig, mich dazu zu bringen, ein neues Thema für die etwas andere Festival-Erfahrung zu wählen. Vorschläge wie „Festival mit Fleisch“ (Ich bin Vegetarierin…) oder „Festival ohne Schlaf“ (…aber nicht geisteskrank!) überzeugen mich irgendwie nicht. Ich fühle mich super. Mir fehlen weder das Zähneputzen mit Bier, noch das Dilemma, ständig auf die Toilette zu müssen, weil man statt der empfohlenen zwei bis drei Liter (Wasser!) täglich fünf bis sechs Liter (kein Wasser!) getrunken hat.
Darauf, dass ich keinen Alkohol trinke, reagieren fast alle mit „Oh je, wie hältst du das aus?“. Ganz gut, muss ich sagen. Allerdings gehöre ich vermutlich zu den Leuten, bei denen andere aufgrund des Verhaltens denken, sie seien betrunken, obwohl das nicht der Fall ist. Es ist überhaupt kein Problem für mich, lauthals jedes mir bekannte Lied mitzusingen – und auch manche, bei denen ich nur so semi-textsicher bin.. Springen und Tanzen geht auch immer. Wichtigster Tipp: Nicht zur Campmutti mutieren. Ab und zu mal Wasser reichen ist okay. Konzerte verpassen, weil die anderen zu betrunken sind, nicht.
Trinkspiele
Okay, hier wird es etwas tricky. Der primäre Sinn von Trinkspielen ist natürlich, gemeinsam betrunken zu werden. Also stürze ich mich auf den sekundären Sinn: Spaß. Ausgerüstet mit Cola-Dosen steht einer Partie Flunkyball oder Beer-Pong nichts im Wege. Flunkyball hätte ich lieber lassen sollen, ist ziemlich peinlich für mich ausgegangen: Trotz Abwesenheit von Alkohol bin ich Letzte geworden. Ich schiebe es auf die Kohlensäure ¯\_(ツ)_/¯ Beim Beer-Pong sieht es da schon besser aus. Ein zusätzlicher Vorteil ist hier, dass Cola-Trinker keine plötzliche Koordinationsschwäche erleiden. Also selbst wenn du kein Beer-Pong-Pro bist, kannst du dein ganzes Camp schlagen, du musst nur so lange warten, bis die Leistung-Bierkonsum-Kurve unter dein konstantes Können gefallen ist.
Nach ein paar Runden nimmt meine Schwester mich mit den Worten „Anne, kann es sein, dass du vom Koffein ein kleines bisschen überdreht bist?“ beiseite. Was soll ich sagen? Sie hat Recht. Ich trinke nämlich nicht nur wenig Alkohol, sondern auch wenig Koffein. Da sind vier Cola-Dosen schon deutlich spürbar. Verdammt, es war natürlich nicht der Plan, einfach eine Droge durch eine andere zu ersetzen. Naja, ich habe zum Glück auch noch Apfelschorle dabei – allerdings nicht in Dosen, was es nicht ganz so cool macht.
Bei Spielen wie Bierkönig bin ich dann aber raus. Das ist nun wirklich sinnlos. Und als mir ein Mitglied meines Camps, das lieber anonym bleiben möchte, mit einem Zepter aus zehn Dosen an der Hand „Ich habe mich gerade ganz kurz übergeben. Aber das ist egal, ich muss gewinnen“ ins Ohr „flüstert“, tut es mir auch gar nicht Leid, dass ich da nicht dabei bin.
Konzerte
Hier brauche ich gar nicht viel zu sagen: Ist klar, dass die Konzerte viel nachhaltiger sind, wenn man sie nüchtern erlebt. Ich fühle mich trotz wenig Schlaf fit und kann problemlos von mittags bis in die Nacht tanzen (und, ganz entscheidend, mich am nächsten Tag an alles erinnern). Bei Two Doors Cinema Club frage ich mich einmal kurz, ob es am fehlenden Alkohol liegt, dass meine Knöchel so wehtun, nach etwas heftigerer Action im Tanzkreis. Aber bei anderen Bands habe ich das Problem nicht – war wohl unglücklicher Zufall.
An dieser Stelle aber nochmal: Bands, was ist los mit euch? Es ist echt erbärmlich, die Menge dafür zu feiern, dass sie betrunken ist. Dass man sein Publikum nicht nur mit Alkoholanspielungen anheizen kann, beweisen Arcade Fire am letzten Abend des Festivals, als Frontmann Win Butler ein „Fuck Donald Trump for a thousand years“ in Richtung Fans schmettert.
Fazit
Festival ohne Alkohol kann man machen, kann man lassen. Sicher ist, dass es dämlich ist, die Tage im Vollsuff im Camp zu verbringen. Sei also tolerant, falls auf dem nächsten Festival jemand mit Cola-Dose beim Flunkyball antritt.
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