Die Frau hinter der Ikone
„Nico, 1988“ zeigt inspiriert vom Leben der The-Velvet-Underground-Sängerin Christa Päffgen den letzten Roadtrip einer gealterten Künstlerin.
Die deutsche Christa Päffgen wurde in den 1960er Jahren als Sängerin Nico weltweit bekannt – außerdem war sie Model und Muse Andy Warhols. Der Film porträtiert Nico aber authentisch und ungeschönt in den Jahren nach ihrem großen Erfolg.
Ende der 80er tritt Nico begleitet von einer Band auf vielen kleinen Bühnen in Manchester, Paris, Italien, Prag und Nürnberg auf. Was zunächst als ungewöhnlicher Drogenentzug oder Reise ohne Ziel erscheint, wird schnell zum Selbstfindungsprozess. Denn Christa Päffgen ist nicht nur Musikerin, sondern auch Mutter. Ihr fast erwachsener Sohn Ari, zu dem sie jahrelang keinen Kontakt hatte, schließt sich nach einem Suizidversuch der ungewöhnlichen Gruppe an. Ein Happy End kann es für Nico trotzdem nicht geben – kein Spoiler, sondern wichtiger Teil ihrer Biografie.
Die italienische Regisseurin Susanna Nicchiarelli wirft einen Blick auf das harte Erwachen nach 1968, anders als verkitschte Filme, wie „Das wilde Leben“ über Uschi Obermaier, in dem die 1960er erstrahlen und alles andere ausgeblendet wird „We took a lot of LSD“, sagt Nico ernüchtert über die erfolgreichen Jahre als Model und Sängerin bei The Velvet Underground. Bei Nicchiarelli tritt Nico zwanzig Jahre später mit ihren eigenen Liedern auf, nimmt Heroin und Alkohol in rauen Mengen zu sich und spricht über Selbstverwirklichung. Düster, verstörend und genial, so ist sie und auch ihre Musik, die später als Beginn des Gothic Rocks gilt. Man muss weder von Christa Päffgen, noch von The Velvet Underground gehört haben, um zu verstehen, wie wichtig die experimentellen Lieder für die Musikgeschichte sind.
Als „fat old junkie“ bezeichnet sich Nico – meistens gibt sie sich so anders und unberechenbar wie sie auch singt. Die dänische Schauspielerin Trine Dyrholm haucht der Rolle der Nico nicht nur durch ihre fantastische Stimme Leben ein, sondern auch durch ihre hypnotisierenden Augen. Im Gespräch mit Reportern blickt Nico gelangweilt und überheblich. Wenn sie wie eine Besessene musiziert, bleibt ihr Blick starr. Und wenn sie ihren Sohn ansieht, wird plötzlich alles warm und ruhig.
Nico ist auf der Suche. Nach ihrer Rolle als Mutter, die sie in den ersten Lebensjahren ihres Sohnes so schlecht gespielt hat. Der Film zeigt dazu etwas belehrend ein Alkohol trinkendes Kind auf einer Party. Auch später wird das erneute Zusammenkommen von Mutter und Sohn vereinfacht und plötzlich dargestellt. Denn vor allem sucht Nico wohl nach ihrer Rolle als Sängerin, nach Klängen und Liedtexten, die ihre Gefühle ausdrücken können.
Der inspirierende Film über Töne und Geräusche richtet sich an alle, die sich für Musik und außergewöhnliche Biografien interessieren. Begleitet wird er von den Bildern eines europäischen Roadtrips. Einige Schauspieler stammen genauso wie ihre Charaktere aus Großbritannien, Rumänien, Frankreich und Italien. Sie sprechen Englisch miteinander, während sie durch ein geteiltes Europa reisen. „Nico, 1988“ klammert Politik dabei nicht aus; unvergessen bleibt die Szene in der Nico ein illegales Konzert in Prag gibt. Sie zittert und schwitzt, weil hinter dem Eisernen Vorhang kein Heroin besorgt werden kann, aber gibt alles für das nach Musik hungrige Publikum. Ihr bestes Konzert – und währenddessen wird der Veranstalter von Uniformierten verhaftet und befragt.
Im Vordergrund steht aber immer Nico. Das wird durch die Kameraführung deutlich, die keinen eigenen Stil erkennen lässt, mal starr ist und mal in Bewegung, aber immer nach Nico sucht. Auch die Nebencharaktere vergöttern die Sängerin, sehnen sich nach ihrer Aufmerksamkeit und fürchten sich gleichzeitig davor. Schade um die interessanten, hervorragend gespielten Begleiter Nicos, die eigene Filme füllen könnten. Aber Nico bleibt der Star, eine Ikone, die am Ende ihres Lebens endlich Mensch sein darf. Sie sagt, isst und macht was ihr beliebt. Wenn im Abspann ein letztes Mal Trine Dyrholms Stimme ertönt, dann bleibt dieses rebellische Gefühl zurück, die Lust am Leben und an der Musik, wie schwer beides auch sein mag.
In den Kinos ab 18. Juli 2018.
Fotos: 2018 Copyright Film Kino Text / Copyright Emanuela Scarpa / Netflix
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