Solokonzert
Kolumnistin Pia bleibt meist lieber zuhause anstatt etwas alleine zu unternehmen. Jetzt war sie das erste Mal ohne Begleitung auf einem Konzert.
Ich will nicht sagen, dass es mein größter Wunsch war und ich keine Angst davor hatte. Doch durch unglückliche Begebenheiten und den festen Willen, zu diesem Konzert zu gehen, hatte es sich so ergeben, dass ich alleine zum Kraftklub Open-Air in Berlin gegangen bin. In meiner Vorstellung waren Konzerte, genau wie Festivals oder Kino, immer etwas sehr Geselliges. Die gemeinsamen Erinnerungen werden noch Jahre später besprochen und die Fotos landen auf Instagram und Co. Kurz vorher kam es dazu, dass im Streit alle Pläne geplatzt sind und ich mich schließlich vor der Entscheidung fand, ob alleine gehen eine Möglichkeit ist. Auch wenn mir bei dem Gedanken, in der großen Menge ganz allein zu tanzen, ganz flau im Magen wurde.
Panisch fing ich wenige Stunden vor dem Konzert zu googlen an, um herauszufinden, wie man sowas überhaupt macht. Dabei stieß ich auf Tipps wie „Nicht zu viel am Handy sein“ und „Niemand weiß, dass du alleine da bist“. Das war beruhigend und schließlich wollte ich es mir auch selbst beweisen. Viel zu oft lässt man sich von anderen Leuten ausbremsen und auch wenn ich oft darüber nachgedacht habe, einfach mal alleine ein paar Tage wegzufahren oder ins Museum zu gehen, hatte ich es vorher nie getan. Vielleicht war dieses Konzert also ein kleiner Schritt Richtung alleinbestimmte Selbstständigkeit.
Alleine sein kann viele Vorteile haben, wenn man sich darauf einlässt – das habe ich schnell gemerkt. Einmal auf dem Konzertgelände, kann ich machen, was ich will. Schließlich muss ich auf niemanden in der Toilettenschlange warten oder mich anpassen. Ich suchte mir einen Platz im Innenraum und wartete. Ich fühlte mich dabei einsam und fehl am Platz in der vorfreudigen Menge. Das war wahrscheinlich der schlimmste Teil. Außerdem waren es an dem Abend gute 30 Grad und Schatten war nicht existent. Während sich also Ängste eines zusammenbrechenden Kreislaufs und niemandem dabei, der sich um einen kümmert bei mir manifestierten, ging das Kopfkino los. Inmitten der Masse fühle ich mich einfach nur allein und fragte mich immer wieder, warum ich nicht einfach gehe. Niemand würde es mitbekommen oder sich dafür interessieren. Aber ich wollte das durchziehen und, wenn auch ganz allein, Kraftklub live sehen.
Ich will nicht lügen, ich bin sehr nah am Wasser gebaut. Und besonders an dem Tag, in dieser Situation, war meine emotionale Stabilität ungefähr die eines Kindes in der Trotzphase. Nach den ersten Tränen bot mir eine Frau ein Taschentuch an und bemerkte, dass ich doch mit ihr und ihrer Schwester das Konzert verbringen könnte. Tapfer verneinte ich. Aber die Tränen waren da. Also nahm mich die Gruppe neben mir in ihre Gesellschaft auf.
Eine unbekannte Fremde versorgte mich mit Glitzer, um mich aufzuheitern und stellte mich ihren Freunden vor. Meine Angst, alleine zu sein und niemanden zu haben, der im Notfall da ist, war also ganz unbegründet. Diese Gruppe Fremder machte den Abend zu etwas ganz Besonderem. Ganz unerwartet stand ich am Ende des Konzerts mit einer Gruppe Fremder und ohne Oberteil auf einem Konzert, wirbelte mein Shirt durch die Luft und hatte den Spaß meines Lebens. Das ist wirklich nichts, was mir ähnlich sieht und wenn ich nicht alleine, sondern mit meinem Freund und seiner Familie gegangen wäre, auch etwas, das nie passiert wäre. Dadurch, dass ich etwas gewagt habe, sind ganz unerwartete Erlebnisse entstanden.
Auch wenn es anfangs wirklich Überwindung gekostet hat auf dem Konzert alleine zu sein und sich auf Fremde einzulassen, bin ich doch froh, dass ich mich dafür entschieden habe. Hätte ich eine Bucket List, auf der „Alleine auf ein Konzert gehen“ steht, hätte ich diesen Punkt jetzt streichen können. Ich weiß nicht, ob ich es wieder machen würde, dafür bin ich vielleicht einfach nicht der Typ. Aber es war sicherlich etwas, das man mal getan haben sollte. Es kommt oft genug vor, dass niemand von den Freunden Zeit hat und ich bin dann schnell so, dass ich mit Netflix im Bett bleibe anstatt einfach alleine etwas zu unternehmen. Ich mache mich selbst abhängig von der Gesellschaft anderer Leute. Das ist etwas, das mich extrem stört, vor allem, da es oft nicht vermeidbar ist. In Leipzig kenne ich nicht viele Leute und Zuhause in Berlin hat auch nicht immer jeder Zeit.
Warum ist es so schwer, alleine auf ein Konzert zu gehen oder in den Urlaub zu fahren? Man ist am Ende immer noch alleine dafür verantwortlich, wie man sein Leben gestaltet und nur weil gerade keiner Zeit hat, heißt das doch nicht, dass man diesen einen Film nicht sehen kann. Schließlich heißt alleine hingehen nicht, dass man alleine ist oder den Abend nur mit sich selbst verbringen muss. Ich hatte trotzdem extrem viel Spaß und bin nicht zuletzt stolz, dass ich mir selbst etwas bewiesen habe. Außerdem habe ich Erinnerungen, die einfach ganz spontan entstanden sind und die ich nur mit meinen Fremden teile – keine Selfies, nur meine Erinnerungen.
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