Meine kleine Schwester, der Ersti
Ersti sein fühlt sich nicht für jeden gleich an. Kolumnistin und Langzeitstudentin Sophie hat ihre ersten Uni-Erinnerungen mit dem Ersti-Dasein ihrer Schwester verglichen.
Dies soll keine Kolumne über Erstis werden, die die Uni jedes Wintersemester aufs Neue unsicher machen; dies soll auch keine Kolumne über schwesterliche Liebe sein und ganz bestimmt keine über desillusionierte Langzeitstudenten. Es sind eher verschiedene Gedanken zu meiner kleinen Schwester und ihrem Start in die Uniwelt, oder wie sie meint: „den Ernst des Lebens nach dem Abi“ und eine Reminiszenz an meine Anfangszeit als unschuldige Studentin.
Ich bin schon etwas älter und habe über 12 Hochschulsemester auf meinem Almaweb-Konto zu verbuchen. Das war natürlich nicht so geplant und doch würde ich sagen, dass die Anhäufung von Semestern gut für mich war. Mittlerweile kenne ich die Namen der Sachbearbeiter vom Prüfungsamt und kann im Schlaf zitieren. Ab Oktober bin ich offiziell endlich Masterstudentin. Mich zieht es an eine andere größere Universität und ich bin seit langem mal wieder Ersti.
Meine Schwester dagegen ist 18 Jahre alt und frisch gebackene Abiturientin. In einer Vorlesung war sie noch nie und die Mensa kennt sie auch (noch) nicht. Im Oktober beginnt sie nun ihr Studium. Sie hat sich für ein duales Studium an einer kleinen Hochschule entschieden.
Wir beide sind also im Herbst Erstis, das haben wir gemeinsam. Dennoch gibt es einen riesigen Unterschied zwischen dem Ersti-Gefühl, das meine Schwester hat, und dem Gefühl, das ich haben werde. Während sie vor Aufregung und Enthusiasmus trotzt, ist mir etwas unwohl zumute und in meinem Kopf kreisen immer wieder dieselben Fragen: Wie sind die Kommilitonen? Finde ich auch die Seminarräume, ohne 10 Minuten zu spät zu kommen? Gibt es eine Selbsthilfewerkstatt für mein nie wirklich funktionierendes Fahrrad? Da drängt sich mir die eine noch wesentlichere Frage auf: Wann habe ich dieses Ersti-Gefühl verloren? Seien wir doch ehrlich, viele der jungen Abiturienten haben rosige Zukunftsvisionen, wenn sie sich einschreiben. Der erste Knall kommt wohl dann, wenn man merkt, dass die Pflichtmodule nicht das behandeln, was jedem unbedingt Spaß macht und spätestens nach dem ersten Studiengangwechsel ist die Stimmung nüchterner. Die Universität ist nun mal keine Traumfabrik.
Wenn man meine Schwester nach ihrer Zukunft fragt, wird sie mit Sicherheit antworten, dass ihr Studiengang der eine, der richtige ist. Diese Sicherheit kann schnell in Selbstzweifel umschlagen und genau in diesem Moment habe ich meine Euphorie verloren. Es ist nicht etwas deprimierend zu merken, dass der Studiengang, den man gewählt hat, nicht alle Erwartungen erfüllt, die vor dem Studium noch sicher zu sein schienen. Eben genau dann habe ich noch zwei weitere Bachelor begonnen und der Master rückte in weite Ferne. Aber das macht nichts. An diesen Punkt kommen einige und Studiengangwechsel oder gar Abbrüche sind kein Weltuntergang. Sich selbst einzugestehen, dass die erste Wahl nicht die beste ist, scheint die Erkenntnis zu sein, die ich in 12 Semestern gelernt habe zu akzeptieren. Falls das duale Studium sich nicht als das entpuppen sollte, was meine Schwester sich erhofft, ist es kein Problem, einen neuen Weg einzuschlagen. Zwar wird das Glücksgefühl nicht dasselbe sein wie zu Anfang, aber die Euphorie weicht der Erkenntnis, dass nur ein einziger Plan für das Leben manchmal nicht ausreicht.
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