Eine Woche nach den Bässen
Der Dreck und die Erschöpfung sind abgespült und langsam kommen verstaubte Erinnerungen ins Gedächtnis zurück. Lest hier, was sich abseits von dreckigen Festivalromanzen beim Highfield 2018 abspielte.
Donnerstag
Einzug in den Wüstenstaat Highfield. Nach zwei Schritten auf dem Campinggelände sind Augen und Nasenlöcher bereits mit Staub gefüllt. Das Mad-Max-Feeling verstärken Menschen mit Mundschutz und schmutzigen, nackten Oberkörpern, die über verdorrtes Gras und steinharten Boden schwere Lasten schlurfen. Dann endlich steht unsere Wüstenoase aus mit warmem Bier gefüllten Zelten und Pavillon. Gepriesen sei der Gummihammer.
Wir schließen erste flüchtige Bekanntschaft mit unseren Zeltnachbarn. Noch ahnen wir nicht, dass unser Verhältnis ein von einigen Höhen und noch mehr Tiefen geprägtes sein wird. Der erste Fehltritt unserer Seite: Alle sind zu erschöpft zum Flunky-Ball-Spielen.
Der erste Besuch im Festival-Supermarkt und die Absurdität seiner Existenz wecken harsche Konsumkritik. Einen Eiskaffee und zwei Schoko-Croissants später ist diese vergessen.
Freitag
Der liebliche Klang einer schief geflöteten „My Heart Will Go On“-Version reißt die Zeltbewohner im Umkreis aus dem Schlaf. Danke für den Weckruf liebe Nachbarn und nein, halb acht ist natürlich nicht zu früh um die Musikanlage einzuschalten.
Unser Nachbarschaftsdisput spitzt sich zu: die Gegenpartei ist eine Truppe begnadeter Gröhler. Das ist zunächst sehr stimmungsvoll, sorgt allerdings nach einiger Zeit doch für Unbehagen.
Das Highfield-Management hat das Frauen-Männer-Verhältnis wohl nicht so realistisch abgeschätzt, was nun dazu führt, dass sich eine starke Polarität am Einlass zum Festivalgelände bildet. Auf der einen Seite der Eingänge stehen Frauen meterlang Schlange, während auf der anderen Seite die Männer, die super fix durch den Einlass kommen, meterlang auf weibliche Gruppenmitglieder warten. Klassische lose-lose-Situation.
Wie schon im letzten Jahr sucht ein Unwetter das Festival heim und furchterregende Blitze peppen die Bühnen-Lightshow der Dropkick Murphys gehörig auf. Die schon drohende Evakuierung bleibt schließlich aus, nicht aber die Rangelei um gratis-Regenponchos.
Auftritt Billy Talent – DER Band der 14-jährigen Ichs von zwei Fünfteln unserer Gruppe: Die Regentropfen werden weniger, die Schweißtropfen vom exzessiven Tanzen dafür umso mehr. Und mit genug Bier sehen die Bandmitglieder auch wieder so jung aus wie vor 10 Jahren.
Samstag
Vor dem Discounter-Konsumgott rotten sich unzählige kleine Gruppen zusammen, die sich wie Tiere an der Wasserstelle über die gerade erbeuteten Backwaren und Biere hermachen und auch wir schlingen gerade unser drittes Eis des Wochenendes herunter, als uns plötzlich eine Konfettiwolke trifft. Die Augen des Werfers strahlen uns glasig und erfolgsheischend an, verziehen sich jedoch schlagartig zu beleidigten Schlitzen, als wir ihm spaßverderbend die Ohren mit Umweltverschmutzung vollschwatzen. Maulig zieht er ab und wird leider schon bei der nächsten Gruppe mit Jubel aufgenommen.
Inzwischen haben wir die Hoffnung aufgegeben, in diesen Tagen eine Dusche von innen zu sehen: wo Menschen selbst eine Viertelstunde vor den Dixie-Klos stehen, kann tatsächlich fließendes Wasser nur wie eine naive, widersinnige Utopie wirken.
Als Flogging Molly abends die Bühne stürmen, ist der Duschwunsch schnell wieder vergessen und stattdessen bietet sich ein Bad in der Menge an. Auch der Leadsänger ist höchst motiviert und wirft zahlreiche Guinness-Dosen in das Publikum, während er dieses im gleichen Zug dazu auffordert, einen Mittelfinger für den Hauptsponsor des Festivals in die Luft zu strecken. Später preist er in verliebtem Ton in der Stimme seine Frau an, die neben ihm zeigt, wie ein Solo an der Tin Whistle klingen kann. Rückblickend bemerken wir, dass dieses Flötensolo eine traurige Seltenheit auf dem Festival darstellt. Die Anzahl der Frauen auf den Bühnen lässt sich nur allzu leicht an einer Hand abzählen.
Als wir uns in der Umbaupause in den aufgewirbelten Staub hocken, um den gerade hart erkämpften Platz in der vierten Reihe vor der Bühne, die gleich von The Hives bespielt wird, nicht zu verlieren, glänzt plötzlich etwas vor uns zwischen all den braun-grau melierten Waden. Wir trauen unseren Augen kaum, aber es leuchten tatsächlich strahlend weiße Tennissocken über einem Paar Turnschuhe, deren Originalfarbe man kaum erkennen kann. Etwa mit Perwoll gewaschen?
Ein paar blaue Flecke in Kauf nehmend schaffen wir es, unseren 4.-Reihe-Platz zu verteidigen und werden mit direktem Körperkontakt zu The-Hives-Frontman Pelle Almqvist belohnt. Noch ein Grund mehr, nie wieder eine Dusche von innen zu sehen.
Erhitzt vom Tanzen, Quetschen und gequetscht werden, wandern wir zurück zu unserem Zelt, wo eine Ernüchterung auf uns wartet: Nach minutenlangem einseitig forciertem Smalltalk und einer ungewollten körperlichen Annährung einer unserer Nachbarn ist unser Verhältnis auf seinem Tiefpunkt angelangt. Gäbe es Festival-Anwälte, würden diese nun endgültig eingeschaltet.
Sonntag
Auf dem Gehweg vor unserer Wüstenoase rottet sich eine Minidisko-Gemeinschaft zusammen. Zehn Minuten später singen und tanzen 40 Menschen (einschließlich uns) „Heeeeeaaad, Shoulders, Knees and Toes, Knees and Toes“. Betrunkene und Kinder haben so vieles gemeinsam.
Die Indie-Band Razz schafft es in der Mittagshitze eine kleine Menge dazu zu bringen, durch minimale Tanzschritte noch ein bisschen mehr zu schwitzen. Nach diesem Wochenende voller Bands, die dem Alter nach schon viele Steuererklärungen geschrieben haben müssen, wirken die Bandmitglieder eigenartig faltenfrei und bartlos.
Mittelspannend wurde es dann abends beim Auftritt von Mando Diao: vom mittelbegeisterten Publikum enttäuscht, widmete Frontsänger Björn Dixgård diesem böse Blicke und alle Beleidigungen, die man Festivalbesuchern entgegen schmeißen kann, ohne mit Tomaten von der Bühne vertrieben zu werden.
Der Kleinkrieg mit den Nachbarn findet ein versöhnliches Ende: nachdem ein bisschen über einen Hula-Hoop-Reifen gebondet werden konnte, wird auch noch unser Abbau mit Flutlicht unterstützt. Innerhalb von Sekunden dieser Hilfe befinden wir uns auf dem intimsten Freundschaftslevel, auf dem uns unser Lieblingsnachbar halb stolz, halb beschämt sein neues Nippelpiercing präsentiert. Es sei schon ganze 24 Stunden alt und bisher kaum entzündet. Halleluja.
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