Spießrutenlauf am FKK-Strand
Nicht viele Dinge werden so sehr mit Freiheit assoziiert wie der entkleidete Körper. Doch wenn das Nacktsein zum Zwang wird, verwandelt sich der Badeschlüppi zum Objekt existentieller Grabenkämpfe.
Der heiße Sommer hat den Leipzigern einiges abverlangt. Auf der Jagd nach einem schattigen Fleckchen Sandstrand mussten wir vor einigen Wochen den Niedergang der Zivilgesellschaft miterleben. Zu den blanken Nerven der einen gesellten sich die nackten Hintern der anderen und so entstand im FKK-Bereich des Kulki die perfekte Ausgangslage für die Wiederaufnahme des ostdeutschen Höschen-Krieges.
Der Name ist Programm. Wie ich diesen Sommer erfahren musste, stehen die Nackedeis im FKK-Bereich ihren textiltragenden Mitmenschen ähnlich wohlwollend gegenüber wie die sächsische Polizei der Pressefreiheit.
Als meine sonnenbrandaffinen Freunde und ich nach einstündiger Todesqual auf dem Fahrrad das glitzernde Blau des Kulkwitzer Sees erreichten, trieb uns, wie jedem Menschen, der Sonnenstiche nicht als legale Methode des Highwerdens abfeiert, der Wunsch nach einem schattigen Plätzchen umher.
Nach erfolgreicher Suche fackelten wir deshalb nicht lange. Klamotten runter, Badesachen an und Richtung kühlendes Nass. Unserem Enthusiasmus wurde jedoch in Form eines sächsischen Hulk Hogans, dessen Gemächt majestätisch und respektheischend über dem Wasser ragte, ein entschiedener Dämpfer verpasst. Im Vorbeigehen wurde uns nicht nur die Lesefähigkeit abgesprochen, sondern auch die Idee der Zwangsentkleidung impliziert.
Was war passiert? Wir hatten uns unwissentlich im FKK-Bereich niedergelassen und das A4-große Schild, das auf diesen Umstand verwies, übersehen. Sodann brach also der gerechte Zorn der rechtschaffenden nackten Schar über uns aus. Die Diffamierung unserer Geisteszustände nahm erst dann ein abruptes Ende, als ich dem Wunsch des freundlichem Herren nachkam und ihm mit einer raschen Bewegung zeigte, was sich unter meinem Bikinioberteil verbarg. Seine fuchtelnden Arme und hervorquellenden Augen erschienen mir wie Applaus für diesen performativen Akt im Zeichen liberalisierter Nacktheit.
Nun kann aber der nackte Körper nicht Symbol der Freiheit und der Abkehr eingestaubter Konventionen sein, wenn er unter Zwang entkleidet wurde. Doch genau diese Symbolik verkörpert die Zielsetzung der FKK-Bewegung in der DDR nach 1950.
Der bereits im späten 19. Jahrhundert aufkeimende Naturismus des Deutschen Kaiserreiches vertrug sich unglücklicherweise nur allzu gut mit der unter großem Hallo aufgenommenen Rassenlehre und fand seinen traurigen Höhepunkt als Instrument rassenhygienischer Zuchtwahl, die, zumindest auf dem Papier, erst mit dem Untergang des Dritten Reiches ihr Ende fand. Die Entpolitisierung naturalistischer Bewegungen ging einher mit der Liberalisierung der Gesellschaft. Der Nudismus als kulturreformistisches Konzept, das den Körper in nicht-sexuellen Kontexten enterotisieren und damit einhergehend das Schamgefühl beseitigen soll, fand besonders in der DDR breite Zustimmung, wenngleich es dort nicht gänzlich unpolitisch gewesen war. Das Entkleiden als Protest gegen staatliche Repressionen wurde in den 70er Jahren zur Massenbewegung, allerdings stets von erbittertem Widerstand begleitet. Mal verboten, mal entkriminalisiert erfreut sich das Nacktbaden trotz allem nach wie vor großer Beliebtheit in Ostdeutschland, auch wenn die Zahl jener seit der Wiedervereinigung rückgängig ist.
Statt strikter Aufteilung der Badestrände, ist mittlerweile das Prinzip des „unorganisierten“ Nacktseins vorherrschend. In Deutschland wird Nacktbaden nicht strafrechtlich verfolgt und, besonders in Ostdeutschland, in weiten Teilen toleriert.
Indes führt die Abgrenzung zwischen den Nackten und den Anderen nicht zu einer gesellschaftlichen Liberalisierung des Körpers und trägt auch nicht zwangsläufig zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der FKK-Liebhaber bei; schließlich stellen sie mit ihren abgetrennten Bereichen ein ideales Sammelbecken für Voyeuristen dar.
Nein, die Entsexualisierung des Körpers wird nicht dadurch erreicht, dass 60 Jährige junge Frauen dazu auffordern sich zu entkleiden, sondern durch einen gesellschaftlichen Zustand, in dem es für Nacktbadende keinen Grund mehr für Abgrenzung gibt. Und die Leipziger Badestrände kommen diesem Zustand auch ohne penibel abgetrennte FKK-Bereiche bereits ziemlich nah.
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