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  • Lasst die Fenster offen

    Pünktlich zur jahreszeitlichen Tristesse stielt sich ein Gefühl von Leere in die Herzen vieler Studierender. Doch dem Liebesschmerz lässt sich beikommen: in der Philosophieabteilung der Bibliothek.

    Der Herbst kam in grau-kalten Windböen über Leipzig. Sie entrissen nicht nur den Bäumen die Blätter, sondern schleuderten gleichsam den Menschen ihre Einsamkeit ins Gesicht. Nun greift die Melancholie um sich und wir fragen uns, wie es (schon wieder) passieren konnte, dass in unseren Betten nur die Wärmflaschen für Geborgenheit sorgen.

    Doch kennen wir nicht die Antwort? Generation Beziehungsunfähig schaut betreten zu Boden, wenn ein verliebter Blick sie streift. Sie stößt mit verblüffender Insistenz gegen ihre selbstgemauerten Wände, nur um anschließend den Schmerz mit kostenintensiven Rauschzuständen zu kurieren.

    Der Herbstwind ist eisig, und trotzdem habe ich mich dazu entschlossen mein Fenster für die Liebe offen zu halten. Denn wer dem einmal Schmerz nachgibt, wird möglicherweise erkennen, dass sich Mauern auch wieder einreißen lassen. Geeignetes Werkzeug hierfür bietet uns seit jeher die Philosophie.

    Immanuel Kant diagnostizierte den Menschen stets einen inneren Kampf auszufechten. Der Mensch verspüre zwar den Drang sich mit anderen zu verbinden, jedoch werde dieser immerzu durch die eigensüchtigen Bestrebungen nach Abgrenzung und Selbstbehauptung in ein Spannungsverhältnis zur Gesellschaft gesetzt. Dieser Antagonismus wird von Kant als der Wunsch des Menschen nach „ungeselliger Geselligkeit“  verstanden. In diesem Widerspruch sieht er den Motor zur Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und Talente, ohne welche Kultur nicht denkbar wäre.

    Kolumne von Anne

    Kolumnistin Anne

     

    Der Drang nach Selbstverwirklichung kann demnach nur Früchte tragen, wenn wir uns bewusst machen, dass wir in einer Abhängigkeitsbeziehung zu anderen stehen; und begreifen, dass uns diese nicht ausbremst, sondern beflügelt. Wir können nicht ohne einander, aber wir müssen lernen unsere Gefühle füreinander in konstruktive Bahnen zu lenken anstatt krampfhaft zu versuchen sie wieder zu verwerfen.

    Glaubt man den Überlegungen des französischen Materialisten Paul-Henri d’Holbach, ist der gefürchtete Liebeskummer vermeidbar. Der Mensch erscheine zwar wankelmütig, jedoch sei dies lediglich Resultat der Unwissenheit um die Wirkung der Dinge, die uns bewegen beziehungsweise um die Wirkung unserer Handlung auf uns selbst. Würden wir uns also öfter Situationen aussetzen, die das Spektrum unseres Erfahrungsschatzes in eine positiv empfundene Richtung verschieben; oder versuchen zu verstehen, welchen Einfluss unser Verhalten auf unsere Empfindungen hat, könnten wir Wege finden diese zu beeinflussen und zu modifizieren. Liebesschmerz wäre damit keine Notwendigkeit mehr, sondern eine Option.

    Auf was dürfen wir also hoffen?

    Auf Liebe natürlich, sofern wir uns ihr hingeben. Wir brauchen radikalen Mut zur Bloßstellung der eigenen Verletzlichkeit. Und wir brauchen das Wissen darüber, dass wir nicht gleich von der Achterbahn der Gefühle herunterfallen, nur weil die Kurven steiler werden. Wir können uns festhalten, aber auch wieder aussteigen, falls uns übel davon wird. Und gegen Bauchschmerzen und die kalte Zugluft hilft ja immer noch die Wärmflasche: aber mein Fenster, das bleibt trotzdem offen für dich.

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