Störenfriede
Laufen bedeutet frei sein, den Kopf abschalten und den Körper arbeiten lassen. Eine Abhandlung über Störenfriede, die diese Harmonie kaputt machen.
Ich zieh die Schnürsenkel fest, stopf die Kopfhörer ganz tief in die Ohren, schnapp meine Schlüssel vom Haken und laufe los. Kopf aus, Körper an. Immer die gleiche Strecke, auf der ich auch im Schlaf jede Kurve und jeden Baum kennen würde. Manchmal denke ich an absolut gar nichts und manchmal an ganz viel. In jedem Fall fühl ich mich danach gut. Und zwar nicht, weil ich berechne, wie viele Kalorien ich verbrannt habe oder ob ich meine Zeit auf 10 Kilometern um 30 Sekunden verbessert habe, sondern einfach nur, weil ich gelaufen bin. Mit dem Wind in den Haaren, dem Waldboden unter den Füßen und dem Bass im Ohr. Was ich dabei nicht gebrauchen kann, sind blöde Sprüche.
Neulich stoppte ich etwa 100 Meter vor meiner Haustür, um den Rest der Strecke zu gehen. Ein Radfahrer schlängelte sich auf dem Fußweg an mir vorbei, drehte sich dann noch einmal um und rief: „Na komm schon, da geht noch was!“ Ein anderes Mal gab mir ein Mann den Hinweis: „Dein Laufstil ist total falsch. Mir als erfahrenem Läufer ist das sofort aufgefallen.“ Die guten Kontersprüche fielen mir erst dann ein, wenn ich die Wohnungstür hinter mir zugezogen hatte und die Situation längst vorbei war.
Was geht es einen fremden Radfahrer an, ob ich in meinen Sportklamotten laufe, gehe oder auf dem Boden krieche und ob ich das richtig oder falsch mache?
Wenn ich laufe, tu ich das für mich. Das ist kein Schaulaufen und kein Wettrennen. Folglich benötige ich auch keine glotzenden Männer oder motivierende Sprüche. Ich frage mich, was es einem nutzt, einer fremden Person belanglose Dinge nachzurufen. Falls die Motivation dahinter ein möglicher Gesprächseinstieg ist, dann sei all diesen Männern nun ein kleiner Ratschlag gegeben: Laufende Frauen mit Kopfhörern in den Ohren haben für gewöhnlich gerade keine Lust, sich zu unterhalten.
Ich geh zum Laufen in den Park – dorthin wo Slackliner durch die Lüfte torkeln, Gassigänger behutsam das Häufchen ihres Vierbeiners auflesen und Pärchen Arm in Arm im Gras liegen. In einer jeden Großstadt ist dies für mich der Ort, an dem die verschiedensten Menschen mit der größten Bandbreite an Beschäftigungen aufeinandertreffen, ohne sich dabei gegenseitig zu stören. Vielleicht macht es das Grün oder das Rauschen der Bäume, das den Lärm der Stadt schluckt – jedenfalls haben Parks für mich etwas Friedliches.
Deshalb, lieber fremder Radfahrer, behalt deine Sprüche für dich und führ deinen Drahtesel das nächste Mal einfach aus, ohne laufenden Frauen hinterher zu rufen. Oder vielleicht besorgst du dir mal einen Hund. Der rennt auch gern und hört auf deine Sprüche. Aber vergiss das Gassi-Tütchen nicht, wenn du in den Park gehst – denn dort herrscht Frieden.
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