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  • Gehirn unter Strom

    Eine Forschungsgruppe um Psychologin Gesa Hartwigsen untersucht am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, wie Sprachregionen im menschlichen Gehirn zusammenarbeiten.

    „Bei dem ein oder anderen Bier mit Kollegen kommen manchmal die besten Ideen“ – Das ist kein Satz, den man von einer promovierten Psychologin erwartet, wenn sie über ihre neurowissenschaftlichen Studien spricht. Gesa Hartwigsen, Leiterin der Forschungsgruppe „Modulation von Sprachnetzwerken“ am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, spricht ihn mit vollem Ernst aus. Wissenschaft sei etwas sehr Interaktives, sie lebe auch von der Diskussion mit Kollegen während der Mittagspausen, meint Hartwigsen. Als Gruppenleiterin in der Abteilung Neuropsychologie erforscht sie, wie Sprachregionen im menschlichen Gehirn zusammenarbeiten.

    Die Methode der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) spielt dabei eine wichtige Rolle: Einem Probanden wird eine Spule auf den Kopf gelegt, die kurzzeitig ein starkes Magnetfeld produziert. In ein bestimmtes Gehirnareal wird so Strom eingebracht, der die Gehirnaktivität an dieser Stelle für kurze Zeit hemmt oder anregt. „Wir simulieren sozusagen einen Schlaganfall“, erklärt Hartwigsen vereinfacht. Ihre Forschung fokussiert sich dabei auf die Sprache; eine zentrale Frage lautet: Wie reagiert das Gehirn auf die Störung eines Sprachareals? „Als Proband bemerkt man die Störung nur selten, da es sich um Verzögerungen im Bereich von Millisekunden handelt“, weiß Hartwigsen. Doch sie und ihr Team, hauptsächlich bestehend aus Doktoranden der Medizin und Psychologie, können die minimalen Veränderungen messen. Ziel ist es, die funktionelle Relevanz einzelner Areale für die Sprachverarbeitung zu testen. „So können wir Rückschlüsse auf den Aufbau des vielschichtigen Sprachnetzwerks im Gehirn ziehen.“

    Forschungsgruppe „Modulation von Sprachnetzwerken“ des Max-Planck-Instituts für Neuro- und Kognitionswissenschaften (MPI CBS)

    Gesa Hartwigsen (Mitte) und ihr Forschungsteam

    Beispielsweise wird dem Probanden auf einem Bildschirm ein Wort angezeigt. Per Knopfdruck soll er nun entscheiden, ob das gegebene Wort existiert oder nicht. Wird das für diesen kognitiven Vorgang zuständige Gehirnareal gestört, so nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit ab. Hartwigsen interessiert dabei die Flexibilität des Gehirns bei dauerhaften Störungen bestimmter Areale. So entwickelt sie Kompensationsmodelle, die später bei der Sprachtherapie von Schlaganfallpatienten helfen könnten. „Für praxisnahe Schlussfolgerungen ist es allerdings noch zu früh“, betont die Neurowissenschaftlerin. Es gehe ihr und ihrem Team um ein Grundlagenverständnis, denn über die Anpassung des Sprachsystems nach einem Schlaganfall ist bisher wenig bekannt.

    Gefährlich sei TMS für ein gesundes Gehirn nicht. „Natürlich müssen neurologische Erkrankungen wie Epilepsie vor der Anwendung ausgeschlossen werden“, erklärt Hartwigsen. Vor jeder Studie werden die Probanden deshalb im Beisein eines Institutsarztes aufgeklärt.

    Obwohl Vorbereitung und Durchführung der Studien zeitaufwendig sind, verbringt Gesa Hartwigsen 60 bis 80 Prozent ihres Arbeitstages am Schreibtisch. Als Gruppenleiterin ist sie nur noch selten an der direkten Forschung beteiligt, was „schön ist, aber auch schade“. Sie kümmert sich um die Auswertung, Interpretation und Veröffentlichung der Daten. Nebenbei gilt es, Forschungsanträge zu schreiben, Lehrveranstaltungen zu halten sowie Fachartikel und Anträge anderer Wissenschaftler zu begutachten. „Forschen ist eben kein klassischer Nine-To-Five-Job“, reflektiert Hartwigsen ihren Beruf. Nach Feierabend könne sie nicht abhaken, was sie geschafft habe: „Man ist nie fertig.“ Deshalb sei die Interaktion mit Kollegen auch so wichtig, denn neue Forschungsfragen entwickelten sich meist in der Diskussion – sei es beim Begutachten und Verfassen von Fachliteratur, bei institutsinternen Treffen, bei internationalen Konferenzen. Oder eben bei einem gemeinsamen Feierabendbier unter Kollegen.

     

    Fotos: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

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