Poetisch und politisch
Besonderer Gast beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm (DOK) war die Regisseurin Ruth Beckermann. Ihre Dokumentarfilme sind essayistisch, subjektiv und voll Poesie.
Die 1952 geborene Beckermann setzt sich seit den 70er Jahren filmisch mit Identität, Gesellschaft und Politik auseinander. Sieben ihrer Filme wurden beim diesjährigen DOK gezeigt, außerdem fand ein Gespräch mit der Österreicherin unter dem Titel „Gegenwartsbewältigung“ statt. Einer der gezeigten Filme ist „Die Geträumten“ (2016); darin legt die Regisseurin die Beziehung zwischen den beiden Dichtern Ingeborg Bachmann und Paul Celan offen. Als Vorlage dienten deren Briefe, die unter dem Titel „Herzzeit“ posthum als Buch erschienen sind.
Der Film zeigt die Sängerin Anja Plaschg, bekannt unter dem Künstlernamen Soap&Skin, und den Schauspieler Laurence Rupp beim Lesen der Briefe in einem Studio des Österreichischen Rundfunks (ORF). Die Kamera begleitet sie nicht nur bei der Arbeit, sondern auch in den Pausen, wenn sich die beiden Österreicher bei ein, zwei, vielen Zigaretten über die beiden Dichter, Tattoos und Musik unterhalten. Dass es sich um Dreharbeiten handelt, ist so stets präsent und holt einen zurück in die Realität, wenn die Intensität der Wortwechsel zwischen Bachmann und Celan zu hoffnungslos wird – schließlich leben die beiden nicht nur in unterschiedlichen Städten, sondern später auch mit unterschiedlichen Partnern zusammen.
Nach dem Film erzählt Beckermann unter anderem, dass sie bei der Auswahl der Schauspieler auf junge Menschen mit österreichischem Akzent bestanden hat. Beim DOK-Gespräch zwei Tage später führt sie noch weiter in ihre Arbeitsweise ein. Sie möge es nicht, schon vor dem eigentlichen Dreh Interviews durchzuführen: „Protagonisten kennenlernen geht so schnell wie verlieben. Sobald die Kamera angeschaltet wird, entsteht eine konzentrierte Beziehung.“
Sehr passende Worte für „Die Geträumten“, denn die Briefe von Bachmann und Celan leben vor allem von der Liebe und den schönen Worten über Sehnsucht, Hoffnung und Unmöglichkeit dieser. Plaschg und Rupp lesen sie mit Mimik und Gestik. Zur Kunst des Filmes gehört auch, dass Beckermann und Co-Drehbuchautorin Ina Hartwig die literarische Vorlage drastisch gekürzt haben. Dabei hätten sie sich vor allem auf das Auf und Ab der Beziehung konzentriert. So werden vor allem Sätze wie dieser wiedergegeben: „Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige.“
Beckermann legt nicht nur in diesem Film ihren ganz eigenen Fokus. Im Gespräch sagt sie ganz offen: „Ich glaube nicht an objektive Wahrheit.“ Blick von außen nach innen, von innen nach außen – damit spielt die Österreicherin. So zeigt „Die Geträumten“ das Er und Sie der beiden Schauspieler, aber auch das Du und Ich, das in den Briefen auftaucht. Diese Perspektivwechsel führen unweigerlich dazu, dass sich die Zuschauer selbst im Film wiederfinden und dabei gar nicht wissen, als wer.
Nicolas Berg vom Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur betont in seiner Ansprache zum Film, dass dieser auch die Geschichte und Kultur europäischer Juden behandelt. Celans jüdische Eltern kamen im Zwangsarbeitslager ums Leben, Bachmanns Vater war NSDAP-Mitglied. „Sie benennen das weder, noch sprechen sie darüber, aber es ist immer da“, so die Regisseurin. Auch Dichtern können die Worte fehlen.
In diesem Aspekt des Films zeigen sich Beckermanns eigene jüdische Identität und ihr politisches Engagement. Sie ist unter anderem Mitbegründerin eines Filmverleihs, dessen Ziel die Verbreitung politischer Filme in Österreich ist. „Ein Film kann nicht die Welt verändern – das wäre eine Illusion. Wenn man sehr jung ist, glaubt man, sowas könne die Welt verändern und das ist auch gut so, sonst würde man es nicht machen“, erklärt die Österreicherin ganz pragmatisch. Neben dem Anspruch an Poesie und Politik widmet sich Beckermann vor allem der Planung. Sie beschreibt ihre Arbeitsweise als ökonomisch und positioniert sich „gegen das alles machen – so wie im Leben auch.“
„Die Geträumten“ dokumentiert die Arbeit mit Menschen und Texten, aber vor allem behandelt der Film Gefühle, die Beckermann als „ewig“ beschreibt – bezogen auf ihre zeitlose Gültigkeit für uns, aber auch auf die Beziehung zwischen Celan und Bachmann selbst. Letztere schreibt nach seinem Tod: „Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluß ertrunken. Er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.“
Ruth Beckermanns Filme sind auf DVD erhältlich. „Waldheims Walzer“ läuft am Sonntag, 11. November um 16:00 Uhr in der Kinobar Prager Frühling.
Fotos: Ruth Beckermann/Maria Kracikova
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