Tafelmesser und Autoritätsfantasien
Am 5. November ist die Waffenverbotszonenverordnung in einem Gebiet um die Eisenbahnstraße in Kraft getreten. Damit wird das Viertel zur Spielwiese der Streifenpolizei.
Seit diesem Montag dürfen sich die Anwohner*innen um die Eisenbahnstraße am neuesten Schmankerl des Sächsischen Staatsministeriums erfreuen. Ab sofort ist nämlich das verboten, was schon vorher verboten war: das Mitführen von Waffen im öffentlichen Raum. Damit die Redundanz der neuen Verordnung nicht allzu schnell ins Auge fällt, hat man kurzerhand alles unter „gefährliche Gegenstände“ subsumiert, was man grundsätzlich gegen andere Menschen einsetzen könnte.
Zu diesen „gefährlichen Gegenständen“ dürften nach Paragraph 2 der Verordnung auch Tafelmesser gehören, denn diese können grundsätzlich als Waffe eingesetzt werden. Kund*innen der zahlreichen Restaurants müssen sich trotzdem keine Sorge machen, denn man überlässt es bequemerweise der Kreispolizeibehörde, inwieweit sie formale Ordnungswidrigkeiten verfolgen möchte. Angesichts der emsigen Bemühungen des deutschen Verwaltungsapparates, das komplette menschliche Dasein in eine bürokratische Form zu zwängen, wirkt diese Regelung seltsam unbedacht.
Der Schein trügt natürlich. Denn welchen Grund könnten Behörden haben, ihre Bürger*innen beamtlicher Willkür auszusetzen, außer eben jene unter ihre komplette Kontrolle zu bringen? Ja, es gibt sie, die organisierte Kriminalität um die Eisenbahnstraße. Und ja, es bedarf Ideen, dieser Einhalt zu gebieten. Doch Willkürherrschaft, Beschneidung der Bürger*innenrechte und autoritäre Einschüchterungsmethoden haben in keinem mir bekannten Abschnitt der Menschheitsgeschichte zur Reduktion der Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung geführt. Es ist es kein Zufall, dass die Fahrzeuge des Ordnungsamtes mittlerweile Polizeiwagen zum Verwechseln ähnlich sehen. Das bewusste Schüren von Angst vor repressiven Maßnahmen ist weder Zeichen von Stärke noch von Souveränität, sondern in erster Linie ein Merkmal staatlicher Ohnmacht.
Langfristig dürfte die Verordnung das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Exekutive verschärfen, was wiederrum kontraproduktiv für ein erfolgreiches Arbeiten der Polizei ist. Diese sind schließlich auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen. Absehbar ist auch, dass sich die Stigmatisierung des Viertels und den damit verbundenen rassistischen Ressentiments gegenüber einem großen Teil seiner Einwohner*innen verfestigen werden.
Zum sächsischen Zeitgeist passt es offensichtlich nicht, zu erkennen, dass Kriminalität keine logische Konsequenz des „Ausländer*innen-Status‘“ ist, sondern eine Folge prekärer Lebensverhältnisse. Doch anstatt deren Bekämpfung durch geeignete Maßnahmen anzugehen, werden alle Bürger*innen unter Generalverdacht gestellt.
Letztendlich dürften sich im nächsten Jahr die Folgen der Verordnung in den Zahlen des jährlich erhobenen Kriminalitätsatlas der Stadt niederschlagen; allerdings zu Ungunsten des Viertels. Denn dort, wo stärker gesucht wird, findet man auch mehr. Die Verordnung wird damit zur Erzeugerin ihrer eigenen Rechtfertigung.
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