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  • Mit Gelassenheit und Duftkerzen

    Bea studiert im Master Psychologie, hat vier Nebenjobs und eine siebenjährige Tochter. Ihren Alltag hat sie dennoch fest im Griff und nimmt sich auch mal Zeit zum Nichtstun.

    Der obligatorische IKEA-Kleiderständer im Flur ist nicht nur mit langen Mänteln und Schals, sondern auch mit Kinderkleidung in pink und rot voll bepackt. Darunter reihen sich Paar an Paar etliche Stiefel, Sneaker und Sandalen. Schuhe aus und Pantoffeln an, heißt es hier, bevor es in ein muckelig beheiztes und nach Duftkerzen riechendes Wohnzimmer geht. Auf dem Tisch stehen Brownies, Obst und Tee, die Wände zieren bunte Gemälde und zentral im Raum steht ein großes, rotes Sofa. „Hier liegen wir manchmal den ganzen Tag lang einfach nur rum“, gibt Bea schmunzelnd zu. Die 29-Jährige Psychologiestudentin lebt in der Lindenauer Wohnung gemeinsam mit ihrer siebenjährigen Tochter Clara.

    Das Studium begann Bea, als ihre Tochter gerade einmal eineinhalb Jahre alt war. Seit ihrem zweiten Lebensjahr kommt Clara regelmäßig mit in die Vorlesungen. Bea hat neben der Uni und ihrer Rolle als Mutter vier Nebenjobs. Sie arbeitet unter anderem bei der Psychosozialen Beratung des Student_innenRats (StuRa) und gibt Coachings zum Thema Stressbewältigung. Von Samstag bis Mittwoch wohnt Clara bei ihr, den Rest der Woche verbringt sie dann bei ihrem Vater, der in der Südvorstadt lebt. Ohne den würde Bea es gar nicht schaffen, betont sie.

    Unterstützung

    Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2017 beträgt der Anteil der Studierenden mit einem oder mehreren Kindern in Deutschland sechs Prozent. Mehr als die Hälfte der Eltern ist verheiratet und ein Drittel lebt in fester Partnerschaft. Eine genaue Aussage über den Anteil der Studierenden mit Kind an der Universität Leipzig lasse sich nach Aussage des Gleichstellungsbeauftragten Georg Teichert nicht treffen. „Geschätzt an den Anträgen auf Urlaubssemester wegen Schwangerschaft und Elternzeit haben etwa acht bis zehn Prozent der Studierenden Kinder.“ Bea kennt einige Mütter, die ihren Alltag mit Kind und Studium komplett ohne Partner bewältigen. Das stelle sie sich sehr schwierig vor.

    Studium mit Kind

    Clara kennt sich am Campus bereits bestens aus.

    Teichert weist auf die vielen Angebote der Universität hin: Urlaubssemester, Teilzeitstudium, Betreuungsangebote während der Ferien, Angebote der Bibliotheken, wie die Möglichkeit der Ausleihe von Präsenzbüchern oder auch die Mensa-Kinderkarte stellen Beispiele der Unterstützung von Studierenden mit Familienverantwortung dar. Zudem gebe es die Möglichkeit eines kurzfristigen, zinslosen Darlehens für bedürftige studierende Eltern in Notsituationen. Bea sieht trotz all der Beratungs- und Betreuungsangebote an der Universität noch immer eine große Unwissenheit bei den Eltern. Über die Möglichkeit des Darlehens wisse in ihrem Umfeld zum Beispiel kaum jemand Bescheid.

    Eines der Betreuungsangebote für Studierende mit Kind ist die Zappelkiste. Das studentische Eltern-Kind-Büro liegt im Erdgeschoss eines Studentenwohnheims in der Nürnberger Straße. Es ist wie eine Wohnung eingerichtet – mit Küche, Spielzimmer, Arbeitszimmer, Waschräumen und einem Ruheraum für den Mittagsschlaf. Das Prinzip des Vereins Studentische Eltern, der die Einrichtung organisiert, heißt „Geben und Nehmen“. Studierende Eltern finden in der Zappelkiste kurzfristige Betreuung für ihr Kind und helfen dann selbst bei Gelegenheit aus. Die Räume standen dem Verein bislang kostenfrei vom Studentenwerk zur Verfügung. Nun liegt der Zappelkiste jedoch eine Kündigung zum 30. November vor, erzählt Tina Götze, Vorstandsmitglied des Vereins. Das Studentenwerk habe mehrere Auflagen gestellt, die der Verein nun bis Ende des Monats zu erfüllen versuche. Zu diesen Auflagen zählen zum Beispiel die Dokumentation der Personen, die in der Zappelkiste ein- und ausgehen, ein mehrheitlich studentischer Vorstand sowie der Beweis, dass die Einrichtung keine Kita ist. Michael Mohr vom Studentenwerk Leipzig betont, dass die Kündigung nicht das Ende der kostenlosen Nutzung der Räume durch studentische Eltern bedeute. „Das Studentenwerk hält sich gesprächsbereit und unterstützt den Verein auch weiterhin. Die Erfüllung dieser Auflagen ist aber im Wesentlichen abhängig vom Engagement der Mitglieder des Vereins.“

    Auch Bea hat das Angebot der Zappelkiste bereits wahrgenommen – jedoch weniger, um Betreuung für Clara zu bekommen und mehr, um andere Studierende mit Kind kennenzulernen. Der Austausch sei auch ein Faktor, der viele Eltern lockt, erklärt Tina. Umso verzweifelter sei sie um die jetzige Situation und die Aussicht, Ende November vielleicht die Umzugskisten packen zu müssen.

    Bea sieht ihre Tochter keineswegs als Stressfaktor. Das sei auch einer der Gründe, weshalb sie ihren Alltag so gut organisieren kann. „Und dank Google-Kalender“, fügt die Studentin hinzu und verweist auf den Bildschirm auf ihrem Schreibtisch, der einen Wochenplan mit bunt hinterlegten Feldern zeigt. Eines wird bereits auf den ersten Blick deutlich: Beas Woche ist ziemlich voll. Zu den festen Terminen kommen auch immer wieder kleine Notfälle und Unvorhergesehenes – so auch der Moment, in dem ihr Handy klingelt und die Sekretärin von Claras Schule anruft. Die Zweitklässlerin habe Bauchschmerzen und müsse nun abgeholt werden. Während Bea bereits durch den Raum läuft, die Kerzen ausbläst und sich die Jacke überstreift, fragt sie noch schnell nach, wo genau sie hinkommen soll. Noch ein kurzer Anruf bei Claras Papa, der auch schon informiert wurde und sich nun Sorgen macht – dann geht es zu Fuß los zur Schule.

    "Hauptsache, ich kann bei meiner Mama sein", sagt Clara.

    Den Ranzen über der Schulter holt Bea Clara aus der Schule ab.

    Diese liegt nur einige Gehminuten von Beas Wohnung entfernt. „Das ist total praktisch“, betont sie. Im Sekretariat angekommen, streift sich die junge Mutter Claras Schulranzen über und nimmt ihre Tochter an die Hand.

    Eine Mama, die studiert

    Auf die Frage, wie Clara es findet, dass ihre Mutter studiert, antwortet sie: „Ich freu mich, dass ich so eine tolle und schlaue Mama hab.“ Bea lacht, streicht Clara über den Kopf und erwidert mit einem Augenzwinkern: „Das haben wir einstudiert.“ Am wichtigsten sei ihr, dass sie bei ihrer Mama sein kann, fügt Clara noch hinzu. Dafür kommt sie dann auch gern mit zu Vorlesungen und Seminaren. Clara habe von Anfang an miterlebt, dass ihre Mama für Erfolge und Verdienste viel tun muss. Als ihre Tochter noch klein war, ist Bea mit ihr zusammen zur Tafel gegangen. Dort standen die beiden manchmal stundenlang für das Essen an. Heute nimmt es sich die Studentin, die mittlerweile von ihren Jobs gut leben kann, dann gern mal heraus, mit Clara essen zu gehen oder für ein Wochenende wegzufahren. Bea habe von Anfang an all die Unterstützung genutzt, die die Universität, das Studentenwerk und der StuRa zur Verfügung stellen.

    Ulrich Wehrle, Referent für Soziales beim StuRa, sieht beim Thema Studieren mit Kind an der Universität noch Handlungsbedarf. An anderen Hochschulen gebe es viel mehr Angebote, wie zum Beispiel eine Betreuungsmöglichkeit bei Abendveranstaltungen. Eine neue AG will die Bedingungen nun verbessern. Unter dem Namen „ProKids Uni Leipzig“ sollen sich in Zukunft Eltern für Eltern einsetzen. Die Zappelkiste hält Wehrle für ein gutes Angebot, das er mit der AG in der aktuellen Situation gern unterstützen möchte. So stehe er bereits in Kontakt mit dem Verein Studentische Eltern.

    Mit Gelassenheit durch den Tag

    Der Dienstag zählt momentan zu den stressigsten Tagen in Beas Wochenplan. Morgens bringt sie Clara zur Schule, arbeitet und fährt dann zu einem Seminar in die Uni. Sie muss die Veranstaltung eine Viertelstunde vor Schluss verlassen, um ihre Tochter pünktlich aus dem Hort abzuholen. Dann geht es gemeinsam mit Clara wieder zurück zur Uni. Hier haben die beiden noch Zeit für ein Brötchen vom Bäcker, bevor dann das nächste Seminar beginnt. Bea hat zwei Taschen über den einen Arm gestreift, einen weiteren Beutel in der Hand und Claras Sporttasche am anderen Arm hängen. Clara trägt ihren Ranzen und hält ihre Brötchentüte in der Hand. So voll bepackt bewegen sich die beiden über den Campus, auf dem sich Clara schon längst bestens auskennt. Immer wieder grüßt Bea vorbeilaufende Studierende. Durch ihren Job beim StuRa und ihr Studium scheint sie hier keine Unbekannte zu sein. Abends freut sich Bea dann wieder auf ihr Sofa.
    Studentin, Mutter, Coach – neben all ihren Rollen ist Bea vor allem eines: eine überaus herzliche Person, die all den kleinen Herausforderungen des Alltags mit Gelassenheit, Duftkerzen und Brownies entgegensieht.

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