Die beschwerliche Beschwerde
Je näher wir Weihnachten kommen, desto häufiger hört man Nörgeleien über das Fest der Liebe. Und wenn nicht darüber, dann halt über ein anderes Thema. Muss das sein?
Für den vierten Advent eine Kolumne zu verfassen, birgt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder über Weihnachten zu schreiben oder ganz ausdrücklich und leidenschaftlich genau das nicht zu tun. Beliebte Ableitungen dieser beiden Ansätze sind auch das Sich-Über-Weihnachten-Beschweren und der Klassiker „Früher war mehr Lametta“. Das heißt, den Nostalgie-Hammer herauszuholen und damit jede Weihnachtsfreude mit einem Hinweis auf die immer unweihnachtlicher werdende Weihnachtszeit oder alternativ den durch die Erderwärmung bevorstehenden Weltuntergang zu zerschlagen. Ich möchte es den schreibenden Weihnachtshasser*innen fast verzeihen. Trotzdem ist das natürlich genauso wie am vierten Advent über Weihnachten zu schreiben: Hat auch schon jede*r gemacht. Ich werde mich also hiermit davon lossagen und mich über das Beschweren beschweren.
Wir beschweren uns alle liebend gern. Meist haben wir eine Lieblingsbeschwerde. Sei es das Weihnachtsfest, Weihnachtsmärkte, Weihnachtsessen (und damit verbunden die Fleischlastigkeit unserer Familienküche), die Lüge über den Weihnachtsmann und nicht zuletzt die allseits beliebte Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes. Als wünschten wir uns ins England Oliver Cromwells zurück, in dem Weihnachten verboten und somit auch diese vermaledeite Kommerzialisierung endlich mal beendet war. Cromwell hat in der kurzlebigen Englischen Republik das Feiern an Weihnachten mit hohen Haftstrafen belegt. Ein ähnliches Gesetz wünschen sich wohl auch einige der heute schreibenden Weihnachtshasser*innen. Anstatt all den zipfelmützentragenden Weihnachtsliebhaber*innen ihren Spaß zu gönnen, nutzen sie ihre kostbaren Zeilen, sich über etwas zu beschweren, das sich sowieso nicht ändern wird.
Dann gibt es natürlich auch diejenigen, die sich denen, die sich durch einen bestimmten Sprachgebrauch überlegen fühlen, überlegen fühlen, indem sie just jenen Sprachgebrauch kritisieren. Ich möchte sie die Kafkaesk-Krähenden nennen. Sich über den inflationären Gebrauch des Wortes „kafkaesk“ zu beschweren, scheint nämlich inzwischen häufiger vorzukommen als das Wort selbst. Das Schöne an dieser Beschwerde ist, dass man sich ganz unabhängig von der bloßen Grundbeschwerde weiterbeschweren kann: entweder über elitäre Journalist*innen, die das Wort nutzen, um ihre Intelligenz unter Beweis zu stellen oder die fehlende Bildung heutzutage, wegen derer kaum noch jemand das Wort „kafkaesk“ versteht. Das Problem ist aber das Gleiche: Wenn jemand unbedingt eine Situation als kafkaesk beschreiben möchte, nun, dann soll er*sie das doch tun. Ob hochgestochen oder nicht, an Kafkaeskigkeit ist noch niemand gestorben.
„Worüber also sollen wir uns dann beschweren?“, höre ich die geneigten Lesenden den Bildschirm ihrer Wahl anschreien. „Wenn Weihnachten und unnötig komplizierte Worte so fehlerlos sind, was soll uns dann mit Gesprächsstoff für das nächste Familien- oder WG-Essen versorgen?“ Erfreut euch an Dingen! Erfreut euch am Ende der Weihnachtszeit, an den immer länger werdenden Tagen, an einfach und klar geschriebenen Büchern und an beschwerdefreien Artikeln. Erfreut euch an den positiven Auswirkungen des Klimawandels: Gutes Wetter, Tomaten aus Schleswig-Holstein und, langfristig, nie mehr Weihnachtsmarkt auf dem Augustusplatz. Und nein, geneigte Lesende, die Ironie darin, einen sich über das Beschweren beschwerenden Artikel zu schreiben, ist mir nicht verborgen geblieben. Beschweren werde ich mich darüber trotzdem nicht.
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