„Mangelnde Anerkennung kann Rechtsextremismus bedingen“
Wie viele Deutsche sind rechtsextrem oder autoritär eingestellt? Diese und weitere Fragen versucht die Leipziger Autoritarismus-Studie zu beantworten. Ein Gespräch mit Co-Autorin Julia Schuler
Im November 2018 erschien die Leipziger Autoritarismus-Studie, deren Ergebnisse überregionale Aufmerksamkeit auf sich zogen. In der alle zwei Jahre veröffentlichten Langzeitstudie werden rechtsextreme und autoritäre Einstellungen in Deutschland untersucht. student!-Redakteurin Leonie Asendorpf hat mit Julia Schuler, Co-Autorin der Studie, gesprochen. Schuler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und arbeitet in der Abteilung für Medizinische Soziologie und Psychologie.
student!: Frau Schuler, womit beschäftigt sich die Medizinische Soziologie und Psychologie?
Schuler: In unserer Abteilung arbeiten hauptsächlich Psychologen, Soziologen und ein paar Forscher aus anderen Disziplinen. Die Forschungsprojekte setzen sich mit psychologischen und soziologischen Fragen innerhalb der Medizin auseinander. Das kann zum Beispiel Medizinethik umfassen oder den gesellschaftlichen Wandel von Medizin und Behandlungsformen.
Die Autoritarismus-Studie fällt da ehrlich gesagt eigentlich nicht drunter. Dass diese politische Studie hier angesiedelt ist, ist eher eine personelle Zufälligkeit.
Bei der diesjährigen Autoritarismus-Studie wurden über 2.400 Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft per Zufallsstichprobe ausgewählt und befragt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie? Gab es etwas, das Sie besonders überrascht hat?
Auch dieses Jahr hat sich gezeigt, dass es immer noch einen sehr hohen Zustimmungsgrad zu ausländerfeindlichen Aussagen gibt. Dieser ist höher als 2016 und doch ist die Ausländerfeindlichkeit insgesamt auf einem ähnlichen Niveau, wie wir es seit 2002 beobachten. Es zeigt sich jedoch, dass mehr und mehr spezifische Gruppen in den Fokus geraten, die besonders von Vorurteilen betroffen sind. So hat insbesondere die Abwertung von Muslimen, Sinti und Roma sowie Asylbewerbern weiter zugenommen.
Was ganz interessant war ist, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie seit 2016 zugenommen hat. Die Leute gehen auf die Straße und beteiligen sich wieder. Gleichzeitig hat sich aber zum Beispiel bei der Wahrnehmung der politischen Selbstwirksamkeit nicht viel getan. Das heißt, die Überzeugung, mit seinem Tun die Politik tatsächlich auch beeinflussen zu können ist nicht angestiegen. Etwa jeder Zweite glaubt weiterhin, dass es sinnlos ist, sich politisch zu engagieren. Als Reaktion auf die gesellschaftliche Entwicklung gab es dieses Jahr außerdem einen Fokus auf das Thema Antisemitismus. Die letzten Jahre hat sich jedoch gezeigt, dass der „klassische Antisemitismus“ nicht mehr so offen bejaht wird.
Was ist der „klassische Antisemitismus“?
Der „klassische Antisemitismus“ umfasst Äußerungen, die sich ganz offen auf eine Abwertung von Juden beziehen. Zum Beispiel steht im Fragebogen die zu bewertende Aussage: „Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich“.
Es gibt aber auch Umweg-Kommunikation. Das heißt ich äußere antisemitische Einstellungen nicht direkt, sondern bejahe Aussagen wie „Ich kann es nachvollziehen, dass Leute etwas gegen Juden haben“ oder „Durch die Israelpolitik kann ich verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ Also wo die Abwertung nicht direkt auf die Zugehörigkeit zur jüdischen Religion projiziert wird, sondern andere Begründungszusammenhänge aufgetan werden.
Kommen wir zu den Methoden der Studie: Den Befragten wurden Aussagen vorgelegt, die sie auf einer Skala von 1 („lehne völlig ab“) bis 5 („stimme voll und ganz zu“) bewerten sollten. Die Kategorie 3 („teils teils“) wurde bereits als latente Zustimmung gewertet. Weshalb?
In den letzten Jahren hat die „teil teils“- Kategorie nicht wirklich Beachtung gefunden, da sie schwierig zu interpretieren ist. Dieses Jahr wurde sie aufgenommen, weil auffällig war, dass gerade bei den Dimensionen, die eigentlich allgemein weniger Zustimmung bekommen, wie zum Beispiel Antisemitismus, diese „teil teils“- Kategorien einen relativ großen Anklang fanden. Deswegen haben wir sie dieses Jahr als latente Zustimmung gewertet, um darauf aufmerksam zu machen, dass die, die nicht als Zustimmende aufgelistet sind, nicht automatisch diejenigen sind, die eine Aussage komplett ablehnen. Sondern die zumindest sagen: „Ja, teilweise würde ich dem zustimmen.“
Bei der Aussage „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“ wurde die Kategorie „teils teils“ als latente Zustimmung der Aussage gewertet. Das könnte doch aber in verschiedene Richtungen interpretiert werden, oder?
Man weiß nie hundertprozentig, wie der oder die Einzelne das jeweils interpretiert. Über die Masse der Personen, die man befragt, kann man aber davon ausgehen, dass es insgesamt ein ähnliches Verständnis der Aussagen gibt. Es könnte natürlich sein, dass jemand argumentiert „Es wurde eine Autobahn gebaut“ oder „Die Arbeitslosenzahlen wurden reduziert“. Für die Gesamtskala „Verharmlosung des Nationalsozialismus‘“ ist das aber wiederum nicht wichtig, ob latent oder manifest zugestimmt wurde. Da zählt nur die manifeste Zustimmung.
Der Fragebogen Rechtsextremismus hat sechs Subdimensionen, für welche es jeweils drei zu bewertende Aussagen gibt. Für die Dimension „Verharmlosung von Nationalsozialismus“ wird eine Person nur als „zustimmend“ eingeordnet, wenn sie der genannten Aussage und den zwei weiteren Items „Ohne die Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen“ und „Die Verbrechen des Nationalsozialismus‘ sind in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden“ zustimmt.
Laut der Studie sind nur etwa 30 Prozent der Befragten ausdrücklich demokratisch orientiert. Woran liegt das? Und wie lässt sich die Befürwortung von Demokratie stärken?
Dieses Jahr war auch die Erfassung von Anerkennungserfahrungen als Bürger oder im eigenen sozialen Umfeld in der Studie enthalten. Die mangelnde Anerkennung ist etwas, das damit einhergeht, eher autoritäre oder sogar rechtsextreme und damit demokratiefeindliche Einstellungen auszuprägen. Bei den eher demokratisch eingestellten Gruppen zeigt sich, dass diese mehr Anerkennung erfahren haben als andere Bürger. Diese haben im Durchschnitt auch einen höheren Bildungsgrad, bessere berufliche Positionen und sind durch wirtschaftliche Faktoren weniger gefährdet.
Man muss sich auch anschauen: In was für einer Gesellschaft leben wir? Und ermöglicht diese es überhaupt, sich demokratisch zu äußern und einzubringen? Dass über Partizipation von Personen auch so ein Gefühl von „Ich kann politisch selbstwirksam sein und Einfluss auf meine eigenen Lebensumstände nehmen“ generiert werden kann, ist in der Politik ja nichts Neues. Gleichzeitig ist es oft so, dass die Angebote zur Partizipation, die geschaffen werden nicht wahrgenommen werden.
Ich denke, dass man durch noch passendere Partizipationsformen Demokratie lernen kann. Dazu gehört auch zu lernen, zu diskutieren und kompromissfähig zu sein und nicht nur auf die Straße zu gehen und sich gegenseitig die Meinungen an den Kopf zu schreien.
Titelfoto: Stephan Böhme
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