Wie Kino ohne Popcorn
Am Samstag spielte das Leipziger Universitätsorchester die jeweils ersten Sinfonien von Ludwig van Beethoven und Gustav Mahler im ausverkauften Gewandhaus. Eindrücke eines Abends, der berauschte
Am Samstagabend lud das Leipziger Universitätsorchester zum traditionellen Semesterabschlusskonzert ins Gewandhaus. Unter dem Motto „#erstklassik“ erklangen die jeweils ersten Sinfonien Ludwig van Beethovens und Gustav Mahlers. In den Tagen zuvor bekam man zur Mittagszeit beim Gang in die Mensa am Park bereits musikalische Kostproben auf die Ohren – die vielen gemundet haben müssen, denn das Konzert war ausverkauft.
Vor knapp 2.000 Zuhörern, vorrangig Studierenden, eröffnet Dirigent Frédéric Tschumi kurz nach 20 Uhr das erste Stück. Der 39-jährige gebürtige Schweizer leitet das Leipziger Universitätsorchester seit über drei Jahren.
Mit Beethovens „Sinfonie Nr. 1 in C-Dur op. 21“ gleitet die Zeit dahin wie im Nu. Etwa die Hälfte der Orchestermitglieder – 52 von circa 100 – inszeniert dieses 1800 in Wien uraufgeführte Werk. Obwohl ich an den Unterhaltungen in den Sitzreihen hinter mir und in der späteren Pause merke, dass ein Großteil der Gäste eher aus Freizeit-Klassikfans und nicht aus Kennern besteht, ist spürbar, dass die Klänge den Saal sofort mitreißen. Nur zum Verständnis: Ich zähle definitiv zu den Freizeit-Klassikfans, wenn überhaupt. Eher zur Sorte „Ich-Habe-Keine-Ahnung-Was-Hier-Passiert-Aber-Es-Ist-Wundervoll“. Der erste Satz läuft gemächlich an und verwandelt sich nach wenigen Minuten in einen schnellen, ausgelassenen Schlagabtausch zwischen Streichern und Holzbläsern. Auch der zweite Satz kommt heiter daher, behält aber einen ruhigen Grundton. Der kurze dritte Satz ist von Anfang an deutlich schneller und unruhiger, fast nervös. Nach einer knappen halben Stunde erklingen die letzten Töne des Finales; unter Applaus verlässt Dirigent Tschumi die Bühne durch die linke Seitentür.
Nach der Pause stehen doppelt so viele Interpreten auf der Bühne und das längere Stück des Abends an: Gustav Mahlers „Sinfonie Nr. 1 D-Dur“, die 1888 in Leipzig entstand und ein Jahr später in Budapest uraufgeführt wurde. Das Stück ist geprägt von Auf und Abs; es ist ein Mix aus konventionell und experimentell und kommt im Gegensatz zu Beethovens Erster sehr sprunghaft daher. Es ist mysteriös, leidend und herzzerreißend schön. Fühlt man sich in einem Moment in langsamen, tänzelnden Klängen gewiegt, wird man plötzlich von donnernden Paukenschlägen wachgerissen. Sogar als Laie höre ich das Wiederkehren bestimmter Themen in den verschiedenen Sätzen heraus. Es ist unglaublich beeindruckend und sehr befriedigend, zu hören und zu sehen, wie so viele verschiedene Musiker mit unterschiedlichen Instrumenten zu einem großen, wundervoll klingenden Ganzen verschmelzen.
Nach dem imposanten Finale des zweiten Werkes hält das Ensemble noch eine Überraschung bereit: Plötzlich stürmen Tschaikowskys Nussknacker und eine Balletttänzerin auf die Bühne, die Orchestermitglieder setzen sich Kopftücher und Pelzmützen auf und spielen für das belustigte Publikum eine kurze Zugabe.
Das Gefühl, das mich nach dem Verlassen des Konzertsaals einholt, kenne ich von Kinobesuchen. Es ist dasselbe taube, erhabene Hochgefühl nach einem guten Film, der alles von einem abverlangt und über den man noch zwei Tage später grübelt. Der mir das Gefühl gibt, gerade in eine andere Welt eingetaucht zu sein, aus der mich der Abspann jäh herausreißt. Was Ang Lee und Steven Spielberg können, können eben auch Beethoven und Mahler. Nur ohne Popcorn.
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