Die Oma-Kolumne
Das SZ-Magazin veröffentlicht jede Woche eine Oma-Kolumne. Auch wenn Kolumnistin Pia 60 Jahre jünger ist als die Dame in der Kolumne, fühlt sie sich manchmal, als wäre sie bereit für den Ruhestand.
Von der Rente und dem Oma-Sein trennt mich noch sehr viel. Als erstes müsste ich meinen Bachelor abschließen, wahrscheinlich auch meinen Master und anfangen, Vollzeit zu arbeiten. Und um Enkelkinder zu bekommen braucht man erstmal Kinder, auch davon bin ich noch weit entfernt. Doch als ich letztens durch eine Fotoausstellung schlenderte, fiel mir auf, dass meine Begleitung und ich aus der Menge herausstachen. Zwischen beigefarbenen Stoffhosen und Socken in Sandalen trug ich meine durchsichtige Brille, einen Kånken und beschrieb die Häuser auf den Schwarz-Weiß-Fotografien als „fresh“ und „nice“. Ähnlich war es auch ein paar Tage später im Museum und bei mir kam langsam die Frage auf, ob meine kulturellen Interessen mehr die der Generation meiner Großeltern wiederspiegeln als die von Gleichaltrigen. Lebe ich etwa schon jetzt das Leben einer Rentnerin?
Ich war einmal mit einer Freundin im Institut für Zukunft in Leipzig. Auf der Tanzfläche wäre ich fast eingeschlafen und unter den ganzen hippen Leuten fühlte ich mich ein wenig spießig. Normalerweise gehe ich gerne um kurz nach 22 Uhr ins Bett, daher bin ich es nicht gewohnt, bis nach Mitternacht wach zu sein. Jetzt, wo wir unseren nächsten Besuch planen, fürchte ich um meinen Schlaf. Seit wann spielen Headliner*innen von vier bis sechs Uhr morgens? Und was ist so cool daran ins Bett zu gehen, wenn die Sonne schon wieder scheint? Warum können wir uns nicht mehr um 20 Uhr treffen, um ein Bier zu trinken und dann alle früh ins Bett gehen, weil wir am nächsten Tag früh raus müssen? Ich möchte sagen, dass ich diese jungen Leute nicht verstehe, bis mir auffällt, dass ich zu ihnen gehöre und sie wahrscheinlich sogar älter sind als ich.
Es kommt mir so vor, als führte ich jetzt schon ein wenig das Leben, welches mir in der Rente bevorsteht. Spazieren im Park, Ausstellungen besuchen und zum Mittagessen in das Museumscafé gehen. Das kommt mir alles sehr vor wie das Klischee über ältere Menschen. Ich finde das gar nicht negativ, denn ich schaue mir gern Kunst an und gehe gern früh schlafen. Außerdem ist meine Oma für mich eine der coolsten Personen, die ich kenne und ein Vorbild. Ich würde mir gerne die Zeit nehmen, einen Mittagsschlaf zu machen oder neben drei geregelten Mahlzeiten, die außerhalb der Mensa stattfinden, auch noch Zeit für ein Stück Kuchen zu finden, bei dem ich entspannt eine Postkarte schreiben kann. Klischees über ältere Leute zu erfüllen kann bestimmt sehr cool sein, ich hoffe nur, dass ich später meine Birkenstocks ohne weiße Tennissocken trage und an meinem Rollator dann „Printerwahn“- und „FCK NZS“-Sticker kleben.
Wenn ich mir meine eigene Oma anschaue, dann bestätigt sich dieses Bild vom entspannten und schönen Älterwerden. Niemand antwortet so oft auf die Frage ob er*sie schon in dieser Ausstellung war oder jenen Film gesehen hat mit „Ja, natürlich. Da war ich letzte Woche schon.“ Ich habe das Gefühl, dass meine Oma den Bahnplan auswendig kennt und es beeindruckt mich, sobald wir ganz ohne Google Maps ans andere Ende der Stadt kommen. Wenn wir zusammen in eine Ausstellung gehen, in der wir wieder auf alte Rentner*innen treffen, läuft meine Oma munter drauf los und ist mir immer ein paar Bilder voraus. Während eine ältere Dame meint, in einem abstrakten Gerhard Richter ganz klar eine „Landschaft mit Flussverlauf“ zu erkennen, kichern wir nur vor uns hin. Ich genieße es jedes Mal, wenn wir in einem Café sitzen und meine Oma mir aus ihrem bewegten Leben erzählt. Wie sie drei Kinder großgezogen und gearbeitet hat. Wo in Berlin die Mauer entlanggelaufen ist und wie unser Kiez nach dem Krieg aussah. Das alles erzählt sie lebendig nebenbei, während ich mich kaum an mein gestriges Mittagessen erinnern kann. Und wenn meine Oma doch mal zu erschöpft ist, um nach all den Aktivitäten für den Opa zu kochen, dann gibt es einfach Döner. Aber nur den vom Bahnhof, „der andere schmeckt ja nicht!“
Wenn Altwerden so ist, dann bin ich jetzt schon mehr als bereit dafür. Auch wenn nicht alles schön daran ist, alt zu werden, ist es doch beruhigend zu wissen, dass eine Zeit kommt, in der man einen Gang runterfahren kann. Dann handeln meine Kolumnen nicht mehr von Konzerten und Clubbesuchen, sondern vom besten Apfelkuchen der Welt und wie ich lerne zu stricken. Bis dahin mache ich einen Mittagsschlaf, nenne es aber „nappen“, weil die Jugend von heute nur noch in Anglizismen spricht und ich den Kids zeigen muss, wie hip ich immer noch bin.
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