Kleinstadt goes Virtual Reality
„Landeskunde digital“: Ein virtueller Rundgang durch die sächsische Kleinstadt Lommatzsch. Mitentwickelt vom Institut für Länderkunde in Leipzig, soll das Pilotprojekt die Länderkunde modernisieren.
Das Onlineprojekt „Landeskunde digital“ ermöglicht es Nutzer*innen, auf dessen Website Geschichten und Informationen über die sächsische 5.000-Seelen-Gemeinde Lommatzsch interaktiv zu erleben. Veränderbare Grafiken und Karten, Bilder aus Vergangenheit, Gegenwart und als Zukunftsvisionen, Geräuschkulissen und persönliche Geschichten gespickt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen: So könnte die traditionelle Landeskunde, die oft in dicken Bänden detailliert und in wissenschaftlicher Manier Naturraum, Geschichte und Kulturraum einzelner Regionen beschreibt, neue Wege für sich finden.
Die Leibniz-Institute für Landeskunde (IfL Leipzig) und für Ökologische Raumentwicklung (Dresden) haben in Kooperation mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der TU Dresden mit dem neunmonatigen Pilotprojekt ihren Beitrag zur Debatte um die Zukunft der Landeskunde geleistet. Angelehnt an die, in Fachkreisen seit langem etablierte Buchreihe „Landschaften in Deutschland“, die das IfL regelmäßig zu bestimmten Regionen herausgibt, wurden Lommatzsch und das Ketzerbachtal passend zur momentan bearbeiteten Auflage als Standorte ausgewählt.
„Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Art und Weise, wie wir Wissen generieren und interpretieren verändern wird“, meint Lisa Ellmers, eine der Projektkoordinator*innen. Für sie ist die virtuelle Entdeckungsreise rund um den Ort Lommatzsch ein Versuch, verstaubte Muster der Landeskunde aufzubrechen: Das Projekt sei für Menschen vor Ort und jüngere Nutzer*innengruppen gedacht, die ein anderes Informationsverhalten haben, als Fachspezialist*innen. „Auch Menschen, die keine 300 Seiten dicke Bände lesen, beschäftigen sich mit ihrer Umgebung. Nur weil sie diese Bücher nicht lesen, heißt das nicht, dass es sie nicht interessiert“, betont Ellmers. Genau diesen Menschen soll durch neue digitale Formate ein Zugang zur Landeskunde angeboten werden – mehr noch: sie sollen in die Wissensgenerierung miteinbezogen werden. Anders als in der klassischen landeskundlichen Forschung, die sehr faktenorientiert stimmige Geschichten über die untersuchte Region generiert, sind die Projektarbeiter*innen sehr selektiv und subjektiv vorgegangen. Ellmers erklärt, dass der virtuelle Rundgang durch Lommatzsch keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Kohärenz stellt. Vielmehr sollen durch Geschichten und beispielhafte Themenkomplexe auch Widersprüche sichtbar werden. „Innerhalb des Faches herrscht der Tenor, dass die Landeskunde neue Wege gehen kann – gerade was neue Formate zur Wissensvermittlung angeht. Geht es jedoch darum, wie wir Wissenschaft betreiben, beschäftigt das zwar viele, jedoch wird dieses Thema nicht so gerne angefasst“.
„Landeskunde digital“ ist eine Idee, wie dieses Thema nun doch „angefasst“ werden und in Zukunft landeskundliches Wissen ergänzend „von unten nach oben“ generiert werden könnte: indem auch die Perspektive der Menschen vor Ort in den Fokus gerückt wird. Um die vielen Formate – die interaktiven Karten, Audiospuren oder historisch-futuristischen Fotografien – mit Inhalt zu füllen, suchten die Forscher*innen das direkte Gespräch mit der Gemeinde. So wurde das Jugendzentrum, die Kirchengemeinde oder die örtliche Apothekerin interviewt. „Es wäre natürlich ideal, einfach alle möglichen Personen auf der Straße zu befragen. Tatsächlich aber kristallisierten sich die meisten Gesprächspartner*innen durch die anfänglichen Interviews mit Lommatzschs Bürgermeisterin Anita Maaß heraus.“ Sie vermittelte die Forscher*innen an Einrichtungen und Personen, welche schon lange ansässig sind, für die Menschen vor Ort interessant sind oder diese polarisieren. Worum es gehen sollte und was die Texte am Ende beinhalten sollten, unterlag trotz des angestrebten Perspektivenwechsels den Forschenden des IfL. So wurde beispielsweise der Einzelhandel in Lommatzsch stark thematisiert, da der Marktpatz als räumliches Zentrum der Stadt zur Bearbeitung ausgewählt und folglich mit dazu passenden Informationen unterlegt werden sollte. Für weiterführende Ideen aus der Gemeinde Lommatzsch, die sich wünscht das Projekt mit der örtlichen Schule zu verzahnen, um beispielsweise Schüler*innen eigene Kartografien über ihre Lebens(um)welt erstellen zu lassen, fehlen laut Ellmers die benötigten Ressourcen.
Das Projekt wurde im Dezember letzten Jahres inhaltlich abgeschlossen, lediglich technisch wird die TU Dresden die Anwendung durch gegebenfalls benötigte Softwareupdates weitere fünf Jahre betreuen.
Die Erfahrungen mit dem Projekt wollen die Forscher*innen nun in ihre weitere Arbeit einfließen lassen und den Onlineauftritt der Reihe ‚Landschaften in Deutschland‘ entsprechend umgestalten, so dass es das gleiche Format für mehrere Regionen geben kann. „Und wenn man sich dort vorstellen kann, Wissen nicht nur von referierenden Autor*innen zuzulassen, sondern zum Beispiel auch von Schulklassen, dann wäre das ein großer Schritt“.
Grafiken: Copyright Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.