„Und vergessen Sie die Liebe nicht!“
Das neue Buch von Jáchym Topol, „Ein empfindsamer Mensch“, wird in seiner Heimat Tschechien als politischer Gegenwartsroman gefeiert. Eine Lesung mit Topol klärt über die Hintergründe des Buches auf.
Die Süddeutsche Zeitung betitelt Jáchym Topol als den „mit Abstand interessantesten tschechischen Autor dieser Jahre“. Er ist Musiker, Journalist, Dichter und Schriftsteller und erhielt für seine Literatur 2010 den renommierten Jaroslav-Seifert-Preis sowie 2015 den Vilencia-Preis. Aber Topol widmete seine Aufmerksamkeit nicht immer der Literatur. Vor dem Systemwechsel vom Sozialismus hin zu einer Demokratie 1989 war Topol Teil einer Untergrund-Musikgruppe und gründete zusätzlich das Untergrund-Magazin Revolver Revue.
Heute ist Topol außerdem Programmdirektor der Václav Havel Bibliothek und prägt somit das tschechische literarische und öffentliche Leben wie sonst kaum ein anderer Schriftsteller in diesem Land. Die Bibliothek ist sowohl ein Archiv der modernen tschechischen Geschichte als auch ein Kulturklub, der die Schnittstelle von gegenwärtiger Kultur und Politik darstellt.
In der Stadtbibliothek Leipzig stellte Topol am Donnerstag sein Buch „Ein empfindsamer Mensch“ im Rahmen der Leipziger Buchmesse vor. Er erklärte, wie seine Texte entstehen und wie sich seine eigene Erfahrung des Heranwachsens im tschechischen Untergrund in seinem aktuellen Buch und seiner Tätigkeit widerspiegelt. Zuerst antwortete der Autor auf die Frage wie es ist, sein Buch auf Deutsch in den Händen zu halten. Dieser Frage entgegnete er mit einem Lachen: Er sei glücklich darüber, aber die Farben, die den Außenband des Buches ausmachen, seien ein kompletter Gegensatz zur tschechischen Ausgabe und schockierten ihn. „Ist das deutscher Expressionismus?“, fragte Topol mit einem Lächeln im Gesicht.
Die Idee, eine Geschichte über eine tschechische Künstlerfamilie auf dem Weg durch Europa zu schreiben, entstand in Budapest. Topol war dort oft in seiner Kindheit und Jugend, um Ausflüge zu machen und später auf Konzerte zu gehen. Als er vor drei Jahren, nach einer langen Zeit die Stadt wieder besuchte, gaben ihm die hohe Anzahl an Flüchtlingen, ein Zirkus und eine Demonstration gegen die Haltung von Gorillas die nötige Inspiration für ein neues Buch. Er schrieb „Ein empfindsamer Mensch“ in einer abgelegenen Hütte auf dem tschechischen Land, die weder Strom noch fließendes Wasser hatte. Das sei wichtig für die Entstehung des Buches gewesen. Die Begegnungen und Gespräche mit den Menschen, die in unmittelbarer Nähe der Hütte lebten, inspirierten ihn. Auf die Frage hin, ob all seine literarischen Werke so entstehen würden, schüttelte der Autor vehement den Kopf. „Das war eine einmalige Erfahrung, die bedeutsam für die Entstehung der Geschichte des Buches war, aber unter solchen Umständen kann man echt nicht lange leben.“ Ein besonderes Merkmal, das Topols Buch einzigartig macht, ist sein Sprachgebrauch, der durch seine Vergangenheit zustande kam: „Ich war nie an einer Universität, sondern habe wie meine Freunde am Boden der Gesellschaft gelebt und grenze mich daher sprachlich von anderen akademisch geprägten Schriftstellern ab.“
Jedoch sind nicht alle von Topols neuerschienenem Werk begeistert. Der linksorientierte tschechische Staatspräsident, Miloš Zeman, veröffentlichte einen kritischen Online Artikel, in dem Zeman fragt, ob ein Roman wie „Ein empfindsamer Mensch“ überhaupt geschrieben werden darf. Topol sei immer noch schockiert über diese Äußerungen, nehme sie aber dennoch nicht ernst. Denn die Kritik, die der ehemalige Präsident an Topol richtet, sei nicht inhaltlich auf das Buch bezogen, sondern auf den Charakter des Autors. Außerdem werde in dem Artikel mehr als deutlich, dass der ehemalige Präsident das Buch nicht einmal gelesen haben könne. Auf eine Stellungnahme zu dem Artikel verzichtete Topol in der Presse ganz: „Meine Literatur ist viel wichtiger als irgendeine Antwort auf ein lächerliches Statement, hinter dem keine Wahrheit steckt.“
Abschließend betont der Autor, dass es in seinem Buch nicht nur darum gehe, gegenwärtige politische Konflikte in Europa zu thematisieren, sondern auch um Glauben, den Sinn des Lebens und die Suche nach der eigenen Identität. Das Thema Politik sei zwar wichtig und präge die Gesellschaft, doch Topol merkt an: „und vergessen Sie die Liebe nicht!“
Auch am Freitag ist Jáchym Topol im Gespräch und erzählt über sein Buch im Hinblick auf die historischen und kulturellen Entwicklungen in Tschechien und Europa. Von 13 bis 14 Uhr findet auf dem Messegelände im Café Europa (Halle 4, Stand E401) ein Gespräch, unter dem Titel „The Years of Change 1989-1991. Mittel-, Ost- und Südosteuropa 30 Jahre danach am Ende – Europa!“ statt. Direkt im Anschluss, von 14 bis 15:30 Uhr, liest Jáchym Topol in der Buchhandlung LUDWIG am Leipziger Hauptbahnhof im Rahmen von „Leipzig liest“. Der Eintritt kostet drei Euro.
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