Stadtplanung wider die Natur
Auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz soll bis 2022 das neue Gebäude des Instituts für Länderkunde entstehen. Der NABU Leipzig kritisiert die Umsetzung des Projekts in puncto Nachhaltigkeit und Transparenz.
Leipzig wächst und damit schrumpfen seine Baulücken. Die mit Abstand größte im Stadtzentrum ist der Wilhelm-Leuschner-Platz, der sich südlich der Innenstadt erstreckt. Mit dem Neuen Rathaus, der Moritzbastei und der Stadtbibliothek blicken etliche markante Bauten auf den Platz. Vom Innenstadtring, der Karli und dem Bayrischem Bahnhof aus fließt hier der Verkehr zusammen. Doch im Verhältnis zu ihrer zentralen Rolle ist die weitläufige Fläche auffallend wenig gestaltet. Während die Westhälfte mit kahlem Asphalt trotzt, ist die Osthälfte teils verwildert, wird teils als Parkplatz genutzt.
Britische Bomber zerstörten 1943 große Teile der einstmals dichten Vorkriegsbebauung. Seit 2007 wurde diskutiert, dort ein „Einheits- und Freiheitsdenkmal“ für die Friedliche Revolution zu errichten – ein Plan, den die Stadt wegen öffentlichen Unmuts 2014 aufgab.
Seit einiger Zeit wird wieder über die Neubebauung des Platzes gesprochen. Der Masterplan von 2017 sieht die Wiederbebauung der Osthälfte vor, unter anderem mit einer neuen Markthalle. Die Universität Leipzig sähe dort gerne neue Räume für Jura, Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Westhälfte hingegen soll für Veranstaltungen erhalten bleiben. Wohingegen die Planungen für den größten Teil der Fläche erst im Frühjahr 2020 anlaufen können, geht es im südöstlichen Teil (Dreieck zwischen Brüder- und Windmühlenstraße) deutlich schneller: Hierher soll voraussichtlich 2022 das Institut für Länderkunde (IfL) aus Paunsdorf ziehen, samt Bibliothek und Archiv.
Der am 25. Januar gekürte Entwurf dafür stammt vom Büro Henchion + Reuter, den Architekten des Gondwanalandes im Zoo, und geht von 34,5 Millionen Euro Baukosten aus. Die Jury hob die angeknickte Gebäudespitze zum Leuschnerplatz hervor, durch welche sich das Haus nicht genau mit seiner Spitze, sondern leicht angewinkelt mit den Eingangstüren an seiner Südseite zum Platz öffnet. Mit über 150 Angestellten soll das IfL den Neubau beziehen, der sich mit seiner „extensiv begrünten Warmdachkonstruktion“ auch ökologisch vorbildlich zu präsentieren versucht.
Dass diese Darstellung nicht überall Anklang findet, wurde bei der Ausstellung der Entwürfe am 19. Februar klar. An diesem Tag rief die Leipziger Regionalgruppe des Naturschutzbunds (NABU), unterstützt von BUND und Grünen, zu einer Demonstration auf, um die Vernichtung von Lebensraum anzuprangern. Zu lesen war dort unter anderem: „Das Leipzig-Prinzip: Alles zubetonieren und dann grün anmalen.“ René Sievert, Regionalvorsitzender des NABU, findet es „nachvollziehbar, dass eine Lücke geschlossen werden soll. Aber man müsste solche Projekte grundsätzlich nachhaltiger umsetzen.“ Der Leuschner-Platz sei nur ein besonders gutes Beispiel, da „die Artenvielfalt dort viel höher als im Umfeld ist“, wie der Verein jüngst in einem umfangreichen Positionspapier anhand des Vogelbestandes belegt hat.
Manch einer mag bei diesen Beschwerden auf die Parkflächen verweisen, die in Leipzig doch reichlich vorhanden sind. Als Ausweichflächen seien diese aber nicht geeignet, da sie Sievert zufolge viel zu intensiv und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse von Tier- und Pflanzenwelt gepflegt werden. „Fassaden- und Dachbegrünung ist schon mal besser als Flachbauten ohne dergleichen“, gesteht Sievert zu, aber als echten Ausgleich brauche es hohe, dichte Gebüsche als Unterschlupf, ferner Sandstellen, Laub und Blühwiesen. All diese Faktoren seien in den letzten Jahren noch zurückgedrängt worden und Teil des „gigantischen“ Flächenverbrauchs in Deutschland.
Dabei wären angesichts der Attraktivität der Baufläche sicherlich höhere Anforderungen möglich gewesen, meint Sievert und betont, dass der NABU frühzeitig den Dialog mit den Behörden gesucht habe und auch „einige Zusicherungen“ erhalten habe, doch schlage sich das nicht in der Praxis nieder. Generell würden Einwände abgewiesen, denn „wenn man nicht mit Paragraphen argumentiert, interessiert der Bürgerwille im Grunde genommen gar nicht.“ Richtlinien des Naturschutzes erfülle die Stadtverwaltung nur bis zum Minimum, zum Teil nicht einmal das. Verstöße seien dann aber oft schwierig zu belegen, Verfahren würden häufig eingestellt und Ausnahmegenehmigungen freigiebig erteilt. Der NABU, der mit anderen Umweltverbänden eine Petition gegen die Baupläne anstrengt, sieht als Grundproblem die zu späte Einbeziehung der Bürger: „In dem Moment, in dem der Gewinnerentwurf vorgestellt wird, ist es eigentlich schon zu spät“, doch sei dies „das Einzige, auf das sich die Stadt in der Regel einlässt.“ Dabei habe gerade das Beispiel Stuttgart 21 die Grenzen dieser Art von Politik gezeigt.
Auch von anderer Seite äußert sich Unmut: Der Politikwissenschaftsstudent Bertrand Zunker war am 19. Februar ebenfalls im Neuen Rathaus. Aus stadtplanerischen und ästhetischen Gründen hat er eine weitere Petition gegen den Neubau begonnen. Zunker trägt die Kritik der Umweltverbände mit, kritisiert aber besonders die „gesichtslose Architektur“, die entgegen den Planvorgaben die bauliche Umgebung nicht berücksichtige und sich zudem kaum von anderen Entwürfen des Büros unterscheide. Er fordert die Zurückziehung des prämierten Entwurfes sowie allgemein eine demokratische und verbindliche Beteiligung der Bürger an Gestaltungswettbewerben. Auch den ursprünglichen Plänen für den Uni-Neubau trauere niemand nach, doch seien sie nur durch den Verein zum Wiederaufbau des Paulinums gekippt worden.
Rückmeldungen aus der Politik sind bislang rar. Lediglich die SPD-Fraktion hat im Februar die Unterstützung der Grünen für die Umweltverbände in einer Pressemitteilung als inkonsequent kritisiert, da die Partei frühere Planungsgrundlagen mitgetragen hätte. Passenderweise aber will sich die Stadt Leipzig derzeit im Rahmen ihres Masterplan Grün stärker mit der sozialen und ökologischen Bedeutung ihrer Grünflächen und Gewässer befassen. Noch bis Ende Mai können Bürger in einer Online-Umfrage Angaben über ihre Nutzung der städtischen Grünflächen und Gewässer machen. Wenn das keine Chance für Bürgerbeteiligung ist.
Titelfoto: Benjamin Sasse
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