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  • „Die junge Generation gibt der Wissenschaft ihre Würde zurück“

    Christian Wirth, Botanik-Professor an der Universität Leipzig, hat die Petition Scientists for Future unterschrieben. Im Interview erklärt er, warum die Fridays-For-Future-Bewegung so wichtig ist.

    Mitte März veröffentlichte die Initiative Scientists For Future eine Petition mit Unterschriften zehntausender Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ihr Anliegen: Die Schülerdemonstrationen rund um Fridays For Future zu unterstützen. Christian Wirth, Professor für spezielle Botanik und funktionelle Biodiversität an der Universität Leipzig, hat ebenfalls unterschrieben. Er ist Direktor des 2012 gegründeten Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), das über 100 Wissenschaftler aus dem mitteldeutschen Raum vereinigt. Der 50-Jährige leitet unter anderem ein Forschungsprojekt im Leipziger Auwald, das die Artenvielfalt und Ökologie von Baumkronen untersucht. luhze-Redakteurin Luise Mosig hat mit ihm über die Sichtbarkeit von Wissenschaft in der Öffentlichkeit, Klimawandelleugner und den Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Klimaschutz gesprochen.

    luhze: Sie sind einer von knapp 27.000 Wissenschaftlern im deutschsprachigen Raum, die die Scientists-For-Future-Petition unterschrieben haben. Was war Ihre Motivation, die Schülerdemonstrationen zu unterstützen?

    Wirth: Mich beeindruckt sehr, dass diese junge Generation – der man lange nachgesagt hat, sie sei an Politik nicht interessiert – auf einmal eine Rolle einnimmt, die Wissenschaft ernstnimmt und ihr so wieder Würde gibt. Das stimmt mich hoffnungsvoll. Bei meinen Recherchen zu Fridays For Future habe ich gemerkt, wie intensiv sich die Jugendlichen mit der Materie auseinandersetzen. Sie stützen sich beispielsweise auf die Berichte des IPPC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Umweltprogramm der Vereinten Nationen mit dem Ziel der Zusammenführung internationaler Klimaforschungsergebnisse, Anm. d. Red.). In einer Zeit, in der die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft aus selbstsüchtigen oder politischen Gründen diskreditiert wird, war das ein wunderschönes Zeichen für mich.

    Meines Erachtens haben Jugendliche durchaus das Recht, zu sagen, was ihnen nicht passt, ohne dafür zwingend fundiertes Wissen vorweisen zu müssen. Diese Jugendlichen beschäftigen sich ernsthaft mit Forschung zum Klimawandel und ziehen daraus logische Konsequenzen. Das hat mir sehr imponiert und mich als Wissenschaftler beruhigt und bestätigt.

    Christian Lindner sagt, die Jugendlichen sollen die Bekämpfung des Klimawandels lieber den Profis überlassen. Was sagen Sie als Profi dazu?

    Das geht in dieselbe Richtung wie folgende Aussagen, die man zurzeit häufiger hört: „Jugendliche tun besser daran, ganz viel zu lernen, damit sie später hervorragende Klimaforscherinnen und Klimaforscher werden können und sich dann dazu äußern dürfen.“ Das halte ich für ziemlich plump, denn wir erforschen den Klimawandel seit über 30 Jahren. Und nicht nur das: Das Thema ist der Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgern sehr gut und sehr fair vermittelt worden, beispielsweise durch die regelmäßigen, präzise aufbereiteten Berichte des Weltklimarats. Wir wissen heute genau, was zu tun ist, um den Klimawandel einzudämmen und wissen, dass wir jetzt handeln müssen.

    Konservative Politik, die suggeriert, dass wir noch 20 Jahre brauchen, um weiter zum Thema zu forschen, ist der falsche Ansatz. Natürlich ist es bequemer und billiger, uns Wissenschaftler unter dem Vorwand „Wir wissen noch nicht genug“ erstmal weiter forschen zu lassen, als tatsächlich eine gesellschaftliche Transformation anzustoßen. Wir als Wissenschaftler müssen deshalb aufpassen, uns nicht vor einen Karren spannen zu lassen.

    Titelbild Fridays for Future

    Seit Anfang 2019 streiken auch Leipziger Schüler regelmäßig freitags für das Klima. (Foto: Maximilian Mitschke)

    Warum wird ein Großteil der Studien zum Klimawandel von Öffentlichkeit und Politik ignoriert?

    Obwohl es sehr wahrscheinliche Klimavorhersagen gibt, besitzt unsere Gesellschaft seltsamerweise ausgeprägte Verdrängungsmechanismen, die sie vom Handeln abhalten. Wenn über so etwas Fundamentales wie die Gefahren des Klimawandels geschrieben wird, gibt es in einer offenen Gesellschaft immer Leute, die das Gegenteil behaupten. Manche machen das aus rein monetären Gründen – mit dem Klimaleugnen kann man viel Geld verdienen. Außerdem bekommt man schnell Aufmerksamkeit, wenn man sich gegen die Mainstream-Wissenschaft stellt. Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft den Klimawandel bald emotional wahrnimmt, dass es endlich „Klick“ macht.

    Gibt es auch Beispiele, in denen Forschungsergebnisse Handeln anstatt Verdrängen hervorgerufen haben?

    Das für mich erstaunlichste Phänomen ist die sogenannte Krefeld-Studie von 2017 zum Insektensterben. Sie hat zwar nur indirekt mit dem Klimawandel zu tun, ist aber ein interessantes Beispiel, wenn man herausfinden möchte, wie Wissenschaft in die Gesellschaft dringt. Wir wissen eigentlich seit 20 Jahren, dass die biologische Vielfalt in Deutschland drastisch abnimmt, trotzdem hat es lange keinen interessiert. Dann haben ein paar Hobby-Entomologen (Insektenforscher, Anm. d. Red.) anhand von Zählungen herausgefunden, dass die Biomasse der Insekten innerhalb von 30 Jahren um 76 Prozent abgenommen hat. Die erhobenen Daten wurden mit Hilfe von Wissenschaftlern ausgewertet und publiziert. Die Studie schlug ein wie eine Bombe. Noch heute berichtet jede Woche irgendeine Zeitung darüber.

    Die Ergebnisse gingen direkt in den Koalitionsvertrag ein. Dieser Studie haben wir zu verdanken, dass es jetzt ein bundesweites Insektenschutzprogramm, ein Monitoring-Zentrum für biologische Vielfalt und große Forschungsprogramme zum Artensterben gibt. Kein Insektenforscher hätte jemals gedacht, dass die Regierung so schnell so viel Geld für Artenschutz ausgibt, und doch ist es passiert. So etwas wie die Bienenpetition in Bayern wäre noch vor fünf Jahren unvorstellbar gewesen. Eine einzige Publikation hat erreicht, dass die Bevölkerung endlich kapiert, was los ist.

    Wie ist dieses Phänomen zu erklären?

    Zum einen war es eine ziemlich alarmierende Zahl, zum anderen haben Medien dazu ein alltagsnahes Bild verbreitet: Eine saubere Windschutzscheibe, die man nicht – wie noch vor wenigen Jahrzehnten – alle 100 Kilometer an der Tanke von Insektenmatsch befreien musste. Das haben die Leute verstanden, das hat sie bewegt. So wird aus Emotionen Politik.

    Welche Rolle spielen Emotionen bei der Fridays-For-Future-Debatte in den Medien?

    Es ist ja so, dass immer ein bestimmtes Thema gerade medial „in“ ist. Eine Weile lag der Fokus auf Biodiversität, nun eben auf Klimaschutz. Man merkt, dass sich die Leute den Klimawandel nun zu Herzen nehmen. Das liegt an wunderbaren Personen wie Greta Thunberg, die die Menschen bewegen und positiv beeindrucken. Wenn Wissenschaft eine Transformation in der Gesellschaft hervorrufen und Sichtbarkeit in der Politik erlangen will, muss sie durch die Herzen gehen.

    Ein Fokus Ihrer Forschung liegt auf Artenvielfalt. Wie können die Erkenntnisse Ihrer Arbeit zum Klimaschutz beitragen?

    Wir versuchen herauszufinden, welchen Einfluss biologische Vielfalt auf das Funktionieren von Ökosystemen hat. Sowohl im Grünland als auch in den Wäldern sehen wir, dass artenreiche Ökosysteme besser wachsen und mehr Kohlenstoff in den Boden pumpen. Beide Faktoren führen dazu, dass der Atmosphäre CO2 entzogen wird, das somit nicht mehr als Treibhausgas wirken kann. Die Erkenntnis daraus: Wenn unsere langwirtschaftlichen Nutzsysteme vielfältiger werden, hat das einen positiven Effekt auf das Klima.

    Je mehr Bodenorganismen unsere Böden enthalten und je artenreicher diese sind, desto weniger muss gepflügt, gedüngt und bewässert werden. Denn die Tiere übernehmen diesen Job, indem sie eine Bodenstruktur herstellen, die Wasser und Nährstoffe speichern kann. So kann die Landwirtschaft eine Menge Energie sparen. Es gibt also einen konkreten Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Klimaschutz.

    Sie haben unter anderem in Alaska und Russland geforscht. Gab es Momente, in denen Sie den Klimawandel am eigenen Leib gespürt haben?

    Ja. Als ich in Fairbanks, USA gewohnt habe, fand ich es sehr spannend zu erfahren, dass der Klimawandel für die Menschen dort eine akzeptierte alltägliche Sache ist. Dazu muss man wissen, dass der Klimawandel aufgrund der atmosphärischen Zirkulation in den nördlichen Breiten viel stärker ausgeprägt ist als bei uns. Die Bewohner haben mir erzählt, dass es früher im Winter mindestens zwei Wochen Kältefrei für Schüler gab. Das gibt es jetzt seit 15 Jahren nicht mehr. Die lokalen Medien haben auch über Inuit-Communities berichtet, die es nicht mehr geschafft haben, ihre gejagten Wale aus dem Wasser zu ziehen. Das Eis war nicht mehr dick genug, um die Beute zu tragen.

    Mit eigenen Augen habe ich die Bodenerosion als Folge des Abschmelzen des Permafrostbodens gesehen. Durch die Erosion wird der aufgetaute Boden wasserdurchlässig. Wasser, das lange Zeit in Seen gespeichert war, drainiert deshalb ins Meer. Es gibt Luftbilder, die deutlich zeigen, wie die Seen in Alaska schrumpfen.

    Auch so dringt der Klimawandel in die Köpfe ein: Wenn man ihn im Alltag spürt. Genau das ist letztes Jahr mit dem Extremsommer in Deutschland passiert. Die Leute haben gemerkt, dass das nicht normal ist.

     

    Titelfoto: Universität Leipzig / Swen Reichhold

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