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  • Gefühle, Sex und Frisbees

    Am Donnerstag spielte die österreichische Band Bilderbuch im Haus Auensee in Leipzig. Ein Abend mit mehr als tanzbarer Musik und ehrlicher Inszenierung.

    Schon bevor Bilderbuch auf der Bühne erscheinen, sind die Erwartungen an den Abend hoch. Denn bei dem bedeutungsschwangeren Bühnenbild gibt es nichts, was es nicht gibt. Teil der Inszenierung sind Gebetsflaggen und Winkekatzen, aber auch Europasterne, Lavalampen und eine mobile Gangway mit der Aufschrift „Love“.

    Die Vorband bricht hingegen mit den Erwartungen. Hoe__mies ist ein DJane-Duo aus Berlin. Lúcia Lu und Meg10 organisieren Hip-Hop-Partys, zu denen sie vor allem weibliche, nicht-binäre und transgeschlechtliche Acts einladen. Durch sie wird deutlich, wie vielfältig die musikalischen Einflüsse von Bilderbuch sind, deren Genre gerne Austro-Pop genannt wird, aber nicht auf ein Wort runtergebrochen werden kann, wie auch Bassist Peter im Interview mit student! betont. Dem ungeduldig wartenden Publikum spielen Hoe__mies vor, worauf die Band aus Österreich so steht: Die Jungs sind auf das DJane-Duo gestoßen, als sie in Wien brasilianischen Baile Funk aufgelegt haben.

    Der Auftritt von Bilderbuch beginnt mit einem klassischen Motiv. „Schütte mir dein Herz aus, Leipzig“, ruft Sänger Maurice und schon regnet es rote Papierherzen in die Ausschnitte und Kapuzen der Besucher*innen. Ein Motiv, das sich nicht nur wiederholt, sondern auch nie endet: Der Regen hält verdammt lange an und Gitarrist Michael trägt die Herzen sogar auf dem Kopf, einrasiert in seine millimeterkurzen Haare. Passend dazu spielen sie das eingängige „Mein Herz bricht“ – „Mein Herz bricht auf der Suche nach Liebe/Dein Herz bricht auf der Suche nach Liebe“.

    Auch um „Frisbeees“, wie eines der neusten Lieder heißt, geht es immer wieder. Maurice erzählt, dass es die nach dem Konzert zu kaufen geben wird ─ währenddessen sei zu gefährlich. Die Inszenierung der Band zieht sich durch alle Bereiche des Konsums und ist dabei so ehrlich wie möglich, weil sie auf keiner Regel beruht: Maurice trägt ein buntes Hemd, Bassist Peter Kajal. Nicht nur die Kleidung der Musiker wirkt so, als hätten sie einfach mal irgendwas rausgegriffen, auch in den Liedern werden Wörter und Sounds scheinbar wahllos im Punkstil aneinandergereiht.

    Bilderbuch scheinen nicht von diesem Planeten zu kommen. Sänger Maurice sieht das weitere Leben auf der Erde voraus. „Das Geld wird verschwinden und alles wird ein Computerspiel“, so sagt er das Lied „Bungalow“ vom 2017 erschienen Album „Magic Life“ an. Die Songs an diesem Abend sind ein Potpourri der Musik, die in den letzten vier Jahren Bilderbuch entstanden ist. Diese Band will nicht einfach nur das neuste Album präsentieren. Die haben Lust auf ihre Musik und wollen dazu ordentlich tanzen, wie auch das Publikum.

    Maurice trägt inzwischen nicht mehr helles Blond in den Haaren wie noch bei ihrem Durchbruch, sondern sieht mit der dunklen Farbeinheit von Schopf und Augenbrauen und dem schiefen Lächeln fast schon aus wie ein sehr hübscher Junge von Nebenan. Der Eindruck verliert sich aber sehr schnell, wenn man ihn tanzen sieht und stöhnen hört. Solche Jungs gibt es nicht in meiner Nachbarschaft.

    Der herzliche Anfang ist inszeniert, aber was Maurice zwischen den Liedern erzählt, scheint improvisiert zu sein. Mehr als einmal beendet er schwer nachvollziehbare Gedankengänge mit einem „Ist auch wurscht.“ Alle freuen sich über so viel Dialekt und so viel Gefühl. Denn neben reinem Hedonismus geht es vor allem um Emotionen. Spätestens bei „Ich Hab Gefühle“ liegt das kuschelnde Paar vor uns falsch, wenn es sich zu „Manchmal, da fühl‘ ich, diese Welt sie braucht mich/Die meiste Zeit da fühl‘ ich überhaupt nichts“ anstrahlt.

    Bevor „Maschin“ gespielt wird, das vielleicht erfolgreichste Lied des Abends, zieht Maurice gelbe Lederhandschuhe an, wie auch im Musikvideo. Dass er sie aus einem Kühlschrank holt, spielt auf den noch unveröffentlichten, aber live performten Song „Mister Refrigator“ an.  Dazu erzählt er, dass man Lösungen finden muss, für die kleinen und großen Probleme, besonders für das Problem Verlieben. Hier treffen Konstruktion und Ehrlichkeit aufeinander. Das Ergebnis ist alles andere als platt. Das zeigt sich auch in Bezug auf Europa. Die Sterne auf der Bühne, die Lyrics zu „Europa 22“: „Ein Leben ohne Grenzen/Eine Freedom zu verschenken/Eine Freiheit, nicht zu denken“ – das alles ist eindeutiger als der Versuch vieler Künstler*innen auf der Bühne noch schnell eine politische Message loszuwerden.

    Zwei Stunden spielen Bilderbuch. Danach ist man davon überzeugt, dass auch Schweiß ein Gefühl sein kann. Der Abend hat nur zwei Wünsche offengelassen: Dass jemand auf dem Gangway rumturnt und dass Maurice sich auszieht. Einer der letzten Sätze, mit denen er sich an das Publikum wendet: „Zum Überleben auf dieser Welt braucht man viel Fantasie.“

     

    Foto: Hendrik Schneider

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