Falsche Asservatenkammer und leere Waffen
Ein Tag am Set der Krimifernsehserie SOKO Leipzig – mit Schauspielerin Amy Mußul als junge Kriminalkommissarin Kim Nowak.
„Staatsanwaltschaft Leipzig“ steht auf einem blauen Schild über den Briefkästen. Menschen in Polizeiuniformen eilen herum. In einem Labor liegt eine Pipette neben Glasfläschchen, die neben fertigen Broten stehen. Jemand ruft: „Abbruch!“ Schnell wird klar, dass vieles am Set von SOKO Leipzig zwar den Anschein einer echten Polizeiwache macht, aber eben doch nur ein Fake ist. Das Labor ist nur ein Set, das am Drehtag nicht gebraucht wird und deshalb zum Pausenraum umfunktioniert wurde.
Gedreht wird die 20. Staffel von SOKO Leipzig, dem erfolgreichsten Ableger von SOKO 5113, ehemals SOKO München. Seit 2001 flimmert die Krimiserie des ZDF über die heimischen Bildschirme. Schnittbilder von Leipzig schmücken die Serie aus und immer wieder erkennt man Orte. Mal wird am Cospudener See, mal im Geisteswissenschaftlichen Zentrum der Universität Leipzig oder im Museum der bildenden Künste gedreht. Heute findet der Dreh in und vor dem Gebäude der Produktionsfirma UFA Fiction in der Inselstraße statt.
Langer Dreh
Auf dem Programm steht eine Außenaufnahme vor dem UFA-Gebäude. In dieser Sequenz soll Kriminalhauptkommissarin Ina Zimmermann (Melanie Marschke) telefonierend aus dem Auto aussteigen, etwas aus dem Kofferraum holen und ins Gebäude gehen. Szenen wie diese werden zwei- bis dreimal geprobt, bevor die Kamera mitläuft. „Achtung Auto! Die Straße ist kurz offen“, ruft jemand von der Seite. Immer wieder verzögert sich der Dreh. Da heißt es: „Kein Bild, bitte die Straße freimachen“, während die ersten Autofahrer*innen anfangen zu hupen.
Auch wenn es hier nicht so wirkt, seien die Leipziger*innen sehr verständnisvoll und offen für Dreharbeiten, meint Produzentin Tanya Momella Mallory. Sie betreut den Dreh von der Vorbereitung bis zur Fertigstellung. „Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Menschen ihre privaten Wohnungen zur Verfügung stellen wollen.“ Beim nächsten Versuch der Drehprobe macht die Sonne einen Strich durch die Rechnung. Wenn sie zu sehr scheint, reflektiert das helle Gebäude und das Bild wird überbelichtet.
Es werden immer vier Folgen am Stück gedreht. Eine Folge von 45 Minuten brauche siebeneinhalb Tage im Dreh und insgesamt zehn bis zwölf Tage bis sie fertig ist, berichtet Mallory. Die Sonne ist weg und es soll endlich weitergehen, doch der Kofferraum will nicht aufgehen. Lachend dreht Darstellerin Melanie Marschke sich um und setzt sich zum mittlerweile fünften Mal in den schwarzen BMW. Auch wenn die Kamera noch nicht läuft – auch die Probe soll fehlerlos sein. Trotz des frischen Windes ist die Stimmung gut. Das Team scherzt miteinander und wirkt vertraut. Regisseurin Franziska Jahn ruft stolz in die Runde: „Ich fand uns gut!“
Junges Blut
Von der herzlichen Stimmung am Set und zwischen den Kolleg*innen schwärmt auch Amy Mußul. Die 27-Jährige ist neu im Ermittlerteam. Seitdem Nilam Farooq Anfang 2019 das Quartett verlassen hat, arbeitet Mußul mit Melanie Marschke, Marco Girnth und Steffen Schroeder zusammen an Kriminalfällen. Um sich auf die Rolle vorzubereiten, hat Mußul Schießtraining absolviert. In ihrer Garderobe liegt eine Waffe auf einem IKEA-Couchtisch. Sie fühlt sich erstaunlich schwer und kalt an. Erschreckend echt sieht sie aus. Mußul hat immer noch sehr viel Respekt vor dem Umgang mit der Pistolenrequisite. „Es bleibt eine Waffe. Ich mag das gar nicht, wenn man da am Set mit rumspielt. Der Spielpartner muss sich immer sicher fühlen, deshalb bekommen wir auch immer gezeigt, dass die Waffe leer ist“, betont sie.
In der Serie geht Mußul als junge Kriminalkommissarin Kim Nowak geübt mit der Waffe um. Auch wenn sie am Anfang von den Kolleg*innen unterschätzt wird, kommt Nowak schnell im Team an. Auf Grund des Alters unterschätzt zu werden, kann auch etwas Positives haben, meint Mußul. Jemand, der frisch aus der Ausbildung kommt, sei vielleicht sogar geschulter als jemand, der nur am Schreibtisch sitzt und im Alltagstrott versunken ist, heißt es bei ihr im Bezug auf ihre Rolle als junge Beamtin. Mußul selbst hat an der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen studiert, bevor diese 2014 in Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf umbenannt wurde. Bereits seit ihrer Kindheit steht sie vor der Kamera. Zuletzt war die Berlinerin in Produktionen wie Sense8 und in der ersten Staffel der ARD-Serie Charité zu sehen.
Als bei SOKO Leipzig die Rolle frei wurde, nahm sie an einem Casting teil. „Von Beginn an habe ich mich sehr wohl gefühlt“, erinnert sich Mußul. Eingekuschelt in eine Decke erzählt sie in einer Drehpause von den Anfängen: „Ich hatte Lust auf die Zusammenarbeit mit den Kollegen, das hat einfach gut harmoniert. Alle haben mich herzlich und offen empfangen. Dieses Gefühl muss man hier auch haben. Man dreht schließlich über eine längere Phase zusammen und Arbeitszeit ist ja auch Lebenszeit. Wir verstehen uns alle, auch privat, super und es gibt immer was zu Lachen.“
Lügenfernsehen
Mittlerweile wurden 18 Staffeln ausgestrahlt. Die Schauspieler*innen Melanie Marschke und Marco Girnth sind von Anfang an dabei. Mußul meint, manchmal kämen Fans extra ans Set, um einen Blick auf die Fernsehkommisar*innen zu erhaschen, aber das sei auch klar, wenn man 20 Jahre über den Bildschirm von Menschen flimmert. Sich selbst im Fernsehen zu sehen, sei sie zwar gewohnt, findet es aber trotzdem komisch, da man einfach nie zufrieden mit sich sei.
„Mittag!“, ertönt es vom Gang, schnell herrscht vor dem Catering-Wagen allgemeines Gewusel. Anders als es Polizeiserien vermitteln, gibt es statt Currywurst und Pommes Kartoffeln mit Gemüsebratling und Salat. Fragen wie „Hast du deine Waffe?“ wirken am Set seltsam normal und auch an die vielen Statist*innen in Uniform gewöhnt man sich. „An einem Tag wie heute arbeiten 30 bis 40 Leute am Set. Hier in Leipzig haben wir unsere eigene kleine Produktionsstraße“, erzählt Produzentin Mallory beim Mittagessen. So könne man schnell reagieren und Dinge in der Serie nachträglich ändern. Die Cutter sitzen im oberen Teil des Gebäudes bei den anderen Büros. Im unteren Teil ist das Set. Da wird auch mal im Konferenzraum mit Heilerde und Pinseln eine Grabungsstätte auf Sizilien nachgestellt. „Wir lügen uns das alles zurecht“, meint Mallory schmunzelnd. Glaubwürdigkeit spielt eine wichtige Rolle und auch wenn die Handlungen frei erfunden sind, so seien sie doch auch inspiriert von dem, was man in der Zeitung lesen kann, betont Mallory.
Als Vorbereitung auf ihre Rolle sprach Mußul mit einer echten Polizistin über SOKO Leipzig und sagt zur Glaubhaftigkeit: „Ich glaube, es ist bei uns schon oft nah dran an der Realität. Es gibt bestimmt auch Momente, in denen echte Polizisten sagen würden, das sei totaler Quatsch. Aber dafür ist es ja auch Film.“ Geht man durch das Set der angeblichen Sonderkommission der Polizei, kann man sich vorstellen, wie im Vernehmungsraum ein*e Verdächtige*r befragt wird und die Kommissar*innen sich am Kaffeeautomat etwas zu trinken holen. Aber der funktioniere gar nicht, merkt Mallory an. In einer älteren Version dieses Kaffeeautomaten habe jemand sitzen können, der dann manuell Kaffee eingeschenkt hat. Eine echte Kaffeemaschine wäre viel zu laut beim Dreh. Und so hausen in der Zelle auch keine Verbrecher*innen, sondern nur Requisiten und in der Asservatenkammer liegen keine Drogen oder Waffen, sondern die führt Tür ins Nichts.
400 Leichen
Das Set wirkt oft wie ein Ameisenhaufen, doch es habe alles seine Ordnung, meint Mußul und zeigt ihren Tagesplan, den sie für jeden Drehtag bekommt. Zwar läuft nicht immer alles perfekt, aber die Stimmung bleibt gut. Alles scheint eingespielt, aber anders könnte eine Serie zur wöchentlichen Ausstrahlung über so eine lange Zeit wohl auch nicht produziert werden. In 400 Folgen gab es circa 3.000 Drehtage und etwa 400 Mordfälle und Tote. Am Ende eines Drehtages wird aus der „Staatsanwaltschaft Leipzig“ wieder das Gebäude der UFA und alle falschen Schilder werden abgenommen. Wahrscheinlich dreht das Team morgen irgendwo in Leipzig weiter, bis dahin steht der Truck mit dem Logo vor der Tür und die falschen Waffen kommen in die Kostümabteilung statt in den Safe.
Fotos: Annika Seiferlein
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