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  • „Vorurteile dekonstruieren“

    Seit der Bundestagswahl 2017 setzt sich der Verein Gesellschaftsdenken dafür ein, dass mehr Menschen miteinander in den politischen Austausch treten. Ein Gespräch mit Mitglied Marie Kraja.

    student!: Nach welchen Kriterien wählst du die Leute aus, die du ansprichst?
    Marie: Ich versuche immer auf die Leute zuzugehen, bei denen es mir unangenehm ist. Ich glaube, man fühlt sich tendenziell zu Leuten hingezogen, welche die eigene Meinung teilen. Ich versuche deshalb immer mit den Leuten zu sprechen, die mir unsympathisch sind.

    Hattest du dadurch schon überraschende Gespräche?
    Ganz viele. Natürlich bestätigen sich auch Vorurteile, aber manchmal ist es wie eine Therapie davon. Man merkt, dass die Leute eine eigene Geschichte haben. Vor diesem Hintergrund kann man bestimmte Meinungen verstehen, was es wiederum einfacher macht, seine Vorurteile zu dekonstruieren. Wenn man nachfragt, warum Menschen bestimmte Dinge denken, fällt es ihnen oft auch selbst auf, dass sie vielleicht nur Phrasen wiederholen.

    Versuchst du, die politischen Ansichten einer Person zu ändern, wenn du anderer Meinung bist?
    Es geht in erster Linie auf jeden Fall darum, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen. Persönlich finde ich es nicht gut, mit der eigenen politischen Einstellung nicht rauszurücken. Ich finde das Stichwort vom sokratischen Dialog gut, nämlich Leute dazu anzuregen, ihre eigene Meinung selbst zu überdenken. Im besten Fall ist es auch andersrum so.

    Wann ist der Punkt erreicht, an dem du ein Gespräch abbrichst?
    Wir haben uns im Verein schon über das Thema Hate Speech Gedanken gemacht. Ein Gespräch auf der Straße bietet keine Plattform, seinen Hass zu verbreiten. Aber es gibt Leute, die schon hasserfüllt auf dich zugehen. Die haben eigentlich kein Interesse an einem Gespräch, sondern nur ein großes Mitteilungsbedürfnis. Wenn ich merke, dass kein Interesse an einem Austausch oder Dialog besteht und kein Konsens gefunden werden kann, breche ich das Gespräch ab.

    Welche Unterschiede sind dir in den verschiedenen Regionen Deutschlands aufgefallen?
    Arbeit und Nicht-Arbeit: In Sachsen-Anhalt habe ich gemerkt, dass es für viele Migranten und Geflüchtete schwierig war, mit der Lebenssituation ohne Arbeit umzugehen. Das war paradox, weil sich viele der Ortsansässigen darüber beschwert haben, dass Geflüchtete nicht arbeiten. In Bayern oder Spandau hingegen waren viele Leute unzufrieden mit ihrer Lohnarbeit und mit ihrer Lebenssituation, aber sie hatten keine existenziellen Ängste. Keine Arbeit zu haben ist ein großes Thema für viele Leute und das würde ich auch als den größten Unterschied sehen.

    Was muss sich deiner Meinung nach in unserer Demokratie ändern?
    Aus den Gesprächen höre ich oft heraus, dass der Abstand zwischen administrativer Ebene der Politik und Zivilgesellschaft zu groß scheint. Egal welche politische Position die Leute einnehmen, sie fühlen sich alle von den obersten Entscheidungen ausgeschlossen. Das ist ein ewiges Aufreger-Thema.

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