„Suche nach Sündenböcken“
Der Soziologe Alexander Yendell hat bei der Hanns-Seidel-Stiftung mit zwei anderen Wissenschaftlern sechs Thesen zur Beziehung zwischen Rechtspopulismus und Religion veröffentlicht. Ein Interview.
student!: Wie definieren Sie Rechtspopulismus?
Yendell: Zum Rechtspopulismus gehören unter anderem die Ablehnung von angeblich korrupten Eliten, eine Institutionenfeindlichkeit wie beispielsweise die Ablehnung der EU, ein Anti-Intellektualismus und die Erhöhung der eigenen Ethnie, Nation oder Religionsgemeinschaft bei gleichzeitiger Abwertung anderer beziehungsweise Fremder. Rechtspopulisten behaupten zudem, sie vertreten den „wahren“ Willen des Volkes, der dem Willen der Eliten moralisch überlegen ist. Dahinter stecken häufig rechtsextreme Einstellungsmuster. Rechtspopulistische Einstellungen werden oft als eine harmlosere Form rechtsextremer Einstellungen gesehen – aber so eine Art Rechtsextremismus light existiert aus meiner Sicht nicht.
Worauf stützen Sie Ihre Thesen zu Rechtspopulismus und Religion?
Die Grundlagen für die Thesen entstanden vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Fachtagung im September 2017 im Bildungszentrum Kloster Banz, auf der es um Religion und Rechtspopulismus ging. Aus der Tagung ist bei der Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik in einem Peer Review-Verfahren ein Sonderheft entstanden, woraus dann wiederum in der Zusammenarbeit mit Oliver Hidalgo und Philipp Hildmann diese Thesen entstanden sind.
Warum glauben Sie, dass in der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus der Religion eine Schlüsselrolle zukommt?
Das liegt an der bedeutenden Rolle der Religion in der Identitätspolitik der neuen Rechten, bei der es vor allem um die Abwertung von Zuwanderern, insbesondere von Muslimen geht. Um sich von ihnen abzugrenzen, kommt es zu einer sehr diffusen Identifikation mit dem christlichen Abendland, um eine Einteilung in „Wir“ und „die Anderen“ zu ermöglichen. „Wir“ sind in dem Falle die Guten, die Nächstenliebe propagieren, die Aufklärung hatten und Frauen nicht benachteiligen. „Die Anderen“ sind die angeblich Rückständigen, Aggressiven, Frauendiskriminierenden. Die Kirchen in Deutschland und die meisten Kirchenmitglieder lehnen eine solche Sicht eher ab.
Warum haben die rechtspopulistischen Parteien ausgerechnet den Islam als Ziel ihrer Abwertung gewählt?
Es hat schon immer Abwertung von Ausländern und Zuwanderern gegeben. Wir stellen jedoch fest, dass es insbesondere seit 9/11 eine religiöse Etikettierung gibt. Früher hat man sich eher wenig für die Religion der Zuwanderer interessiert, sie waren Türken, Marokkaner, Afghanen. Heute wird Bezug auf die Religion genommen, die vor allem in einen Zusammenhang mit Fanatismus, Aggression und Gewaltbereitschaft gebracht wird. Dadurch wird die Heterogenität einer solchen Religionsgemeinschaft verleugnet, denn es gibt innerhalb des Islam viele unterschiedliche Religionsgemeinschaften. Insbesondere der Islam wird von Rechtspopulisten zur Stärkung der eigenen Identifikation als das Böse, als das Andere gesehen. Es geht sozialpsychologisch betrachtet immer um die Einteilung in das „Wir“ und „die Anderen“. Im Grunde genommen ist dies eine Suche nach Sündenböcken. Dafür eignen sich islamistische Terroristen hervorragend, weil sie schließlich ja auch böse sind. Es kommt zu einer Spirale der Gewalt, weil auch islamistische Terroristen daran interessiert sind, Gegenwind zu erfahren. Für Menschen, die so einfach gestrickt autoritär denken, muss es immer dieses Freund-Feind-Bild geben. Rechtsextreme und islamistische Terroristen wollen eine solche Polarisierung, weil sie den jeweiligen Gegner als Projektionsfläche ihrer eigenen Aggression benötigen.
In Ihren Thesen schreiben Sie, dass rechtspopulistische Parteien das Christentum instrumentalisieren. Wie geschieht das?
Das drückt sich beispielsweise durch Äußerungen zur Identifikation mit dem christlichen Abendland und Bezugnahme darauf nach islamistischen Angriffen aus, á la „Angriff auf das christliche Abendland.“ Das Christentum wird als gute Religion dargestellt, der Islam als das böse Gegenteil. Allerdings verschwinden diese Bezugnahmen zur Religion schnell wieder, sie werden nur in diesem Kontext benutzt. Unter anderem kommt es zu einem christlichen Anstrich, weil Parteien wie die AfD vor allem von Konfessionslosen gewählt werden und ihnen die christlichen Wähler fehlen, die sie gerne erreichen würden. Die Bezugnahme auf die christliche Religion ist in diesem Sinn also eigentlich nur eine Fassade.
Wie unterscheidet sich eine Gruppe oder Partei, die christlichen Werten folgt, von einer Partei, die nur vorgibt, das zu tun?
Konservative setzen sich zumeist für Religionsfreiheit ein, während Rechtspopulisten Religionsfreiheit abschaffen wollen, indem sie die Zuwanderung von Muslimen und die Ausübung des Islam einschränken wollen.
Wie zeigen sich diese christlichen Werte bei konservativen Parteien?
Trotz vieler Kontroversen beispielsweise innerhalb der CDU und CSU kann man sagen, dass die konservativen Parteien sich häufig mit christlichen Werten identifizieren, wozu zum Beispiel auch Nächstenliebe und Toleranz gehören. Rechtspopulisten hingegen geht es genau darum nicht. In christlichen Parteien sind Kirchenvertreter organisiert, während bei Rechtspopulisten eher keine Kirchennähe festzustellen ist. Mitglieder der AfD sind im Großen und Ganzen sehr kirchenfern, weswegen ihre Identifikation mit dem Christentum eher eine Pseudo-Identifikation ist.
Wie können Christ*innen der Inanspruchnahme ihrer Religion durch rechtspopulistische Parteien begegnen?
Die Kirchen begreifen das bereits als ein Problem, zum Beispiel hat die Katholische Kirche in Bayern ein Kompetenzzentrum für Menschenwürde und Demokratie gegründet und nimmt sich der Fragestellung an. Auch aus der evangelischen Kirche heraus gibt es einen Bedarf an Forschung zu Rechtspopulismus und Vorurteilen. Ich glaube, dass weite Teile der Kirche die Erforschung des Rechtspopulismus in Zusammenhang mit Religion ernst nehmen, was einen wichtigen Schritt darstellt, damit es darüber überhaupt einen Diskurs geben kann. Natürlich mischt sich die Kirche in solche Debatten ein, indem sie Toleranz propagiert oder sich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Es ist gut, wenn Kirchenvertreter deutlich machen, dass das Christentum etwas mit Nächstenliebe und Toleranz zu tun hat und nicht mit rechtspopulistischer Politik in Einklang gebracht werden kann.
Was verstehen Rechtspopulist*innen Ihrer Auffassung nach unter Multikulturalismus?
Für Rechtspopulisten ist das ein negativer Begriff, der für sie bedeutet, dass die Eigenart der eigenen Kultur durch eine angebliche Islamisierung gefährdet ist. Multikulturalismus oder Multikulturalität untergrabe die eigene Kultur und das ist für Rechtspopulisten und Rechtsextreme das Horrorszenario schlechthin.
Die Hanns-Seidel-Stiftung, die ihre Thesen veröffentlicht hat, ist CSU-nah. Allerdings werden weder CSU noch CDU in den sechs Thesen erwähnt, im Gegensatz zu Linken, SPD, Grünen und AfD. Hat das auch etwas damit zu tun, dass CDU und CSU ebenfalls mit rechtspopulistischen Aussagen kokettieren und in den Thesen erwähnte Strategien nutzen?
Ich kann nicht für die Hanns-Seidel-Stiftung sprechen und möchte an dieser Stelle auch keine politischen Strategien bewerten. Aber ich halte es für sehr positiv, dass auch eine Stiftung, die einer konservativen Partei nahesteht, etwas zum Thema Religion und Rechtspopulismus macht. Es kommt von rechter Seite immer wieder mal der Vorwurf, dass wir Forschenden von linken Stiftungen diktiert bekämen, was wir zu sagen haben. Und so was habe ich weder bei linken noch bei konservativen Stiftungen erlebt, mit denen ich bislang zusammengearbeitet habe. Insofern freue ich mich aus wissenschaftlicher Perspektive über die Initiative der Hanns-Seidel-Stiftung.
Würden Sie Politiker*innen, die sagen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, rechtspopulistische Strategien vorwerfen, auch wenn sie in CSU oder CDU sind?
Allein wer überhaupt die Frage aufwirft, ob der Islam zu Deutschland gehöre, tappt in die von Rechtspopulisten gelegte Falle. Eigentlich darf sich die Frage nicht stellen, denn in Deutschland gilt die Religionsfreiheit.
Ist es auch noch nicht rechtspopulistisch, wenn Politiker*innen ein Kopftuchverbot fordern, das durchaus als Eingriff in die Religionsfreiheit bezeichnet werden kann?
Zumindest ist die Forderung eines solchen Verbots problematisch. Es kommt auch darauf an, ob man möchte, dass religiöse Symbole ganz aus der Öffentlichkeit verschwinden oder ob man mit zweierlei Maß misst. Schließlich werden religiöse Symbole auch von Christen in der Öffentlichkeit getragen. Ich halte es für problematisch, das eine zu erlauben und das andere nicht. Die Frage ist zudem, inwieweit das Kopftuch ein religiöses Symbol ist oder ein Kleidungsstück, welches für die Trägerin die Zugehörigkeit zu einer Familie oder einer sozialen Gruppe symbolisiert. Was das Kopftuch überhaupt für einzelne Trägerinnen bedeutet, ist eine ausgesprochen schwierige Frage. Ich plädiere bei diesem Thema für mehr Lockerheit.
Foto: Alicia Kleer
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