„Es mangelt nicht an Überzeugung, sondern an Aufklärung“
Mitgestalten, statt zu Hause zu bleiben: Die proeuropäische Initiative „Diesmal wähle ich“ will Leute dazu motivieren, ihre Stimme bei der Europawahl abzugeben.
Hinter all den Mini-Flaggen, den Flyern und den Broschüren über das Europäische Parlament verschwindet Jonas Spiegel fast. Vorige Woche war er noch in Brüssel, um das ganze Info- und Werbematerial zusammenzusuchen und nach Leipzig zu bringen. Jetzt haben seine beiden Kollegen und er ihre Tische mit den Auslagen direkt vor dem Eingang zur Mensa am Park aufgestellt und warten auf den großen Ansturm, wenn sich tausende von Studierenden um 13 Uhr an ihnen vorbei drängen müssen. „Geht wählen!“, ruft er während des Gesprächs einzelnen Menschen zu und drückt ihnen ein EU-Fähnchen in die Hand.
Jonas Spiegel und seine Kollegen arbeiten ehrenamtlich für die Initiative „Diesmal wähle ich“. Im vergangenen Jahr wurde die parteiübergreifende Kampagne vom Europäischen Parlament ins Leben gerufen, um Menschen bei der anstehenden Europawahl an die Urne zu bringen. „Die EU ist für viele selbstverständlich geworden“, sagt Jonas. Die Vorzüge, Teil der Europäischen Union zu sein, liegen für ihn schon „in den kleinen Dingen“, die wir gar nicht mehr bewusst wahrnähmen: Länderübergreifendes Datenroaming oder EU-weite Hygienestandards in der Lebensmittelproduktion würden zum Beispiel das Reisen deutlich vereinfachen. Jonas betont auch das Gemeinschaftsgefühl, das über Landesgrenzen hinweg zwischen Angehörigen verschiedener Nationen entstanden sei. Da außerdem EU-Recht die nationale Gesetzgebung schlägt, seien wir tagtäglich von den Entscheidungen des EU-Parlaments betroffen. Trotzdem ist die Beteiligung an den Europawahlen traditionell mager – bei der letzten Wahl lag sie EU-weit bei 43 Prozent, von den Erstwählern gaben sogar nur 28 Prozent ihre Stimme ab. Ähnlich schlecht schneiden nur die Kommunalwahlen ab. Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl lag die Wahlbeteiligung bei rund 76 Prozent.
„Die EU ist da. Wenn du sie ändern willst, geh wählen“, sagt Jonas. Wer zum Beispiel ein Problem darin sehe, dass die EU ihre Außengrenzen immer mehr schließe, solle diese Bedenken an die Wahlurne herantragen: „Wenn du dann die Partei wählst, die diese Kritik teilt, kannst du guten Gewissens für Europa stimmen.“ Unsicher ist er sich allerdings, wie er Kritik von rechts begegnen könnte. Würde eine Person sich im Gespräch klar für die AfD aussprechen, würde er sich zwar mit einer klaren Wertung zurückhalten: „Ehrlich gesagt, weiß ich aber nicht, wie ich damit umgehen würde.“
Allerdings sieht Jonas seine Hauptaufgabe auch nicht darin, in Diskussionen mit harten EU-Skeptikern zu treten. Um Menschen zum Wählen zu bringen, werben die Leute von „Diesmal wähle ich“ zwar auch mal an diverseren Orten als der Unimensa – auf Stadtteilfesten etwa oder auf öffentlichen Plätzen. Vor allem aber gehe es ihnen darum, diejenigen ins Boot zu holen, die der EU zwar nicht prinzipiell ablehnend gegenüberstehen, der Wahl aber aus unterschiedlichen Gründen keine große Bedeutung beimessen. Jonas ist sich sicher: „Es mangelt nicht an Überzeugung, sondern an Aufklärung.“
Titelbild: privat
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