Schwarz wie das All
Ein Raumschiff als Gefängnis, Häftlinge als Sklaven der Forschung: „High Life“ nimmt uns mit auf eine düstere Mission in die Finsternis der menschlichen Seele.
Völlig schwereloser Arbeitsalltag: Ein Mann im Raumanzug führt Außenreparaturen an einem Schiff durch, während er mit seiner kleinen Tochter per Babyphon in Verbindung bleibt. Auch danach kümmert er sich liebevoll um die Kleine, mit ihr allein im menschenleeren Schiff. Moderne Vaterschaft im Astronautenformat. Doch schwingt selbst in dieser langen ersten Viertelstunde eine ungute Vorahnung mit. Gestalt nimmt diese Ahnung an, als der einsame Sternenfahrer schweren Herzens etliche tiefgefrorene Leichen im Weltraum entsorgt und sich der Filmtitel zu erkennen gibt. Von da an wandert die Geschichte größtenteils durch Zeitsprünge.
Auch in diesen Rückblenden sehen wir ein Raumschiff durch die Schwärze des Alls rasen, nun aber besetzt mit einer kleinen Mannschaft aus Häftlingen wie Monte (Robert Pattinson), die ihren Maximalstrafen auf Erden zu entgehen meinen, indem sie zum Ruhm der Wissenschaft an der jahrelangen Mission teilnehmen. Rückkehr ungewiss. Ihr offenbares Ziel ist das nächstgelegene Schwarze Loch, doch auf dem Weg dorthin tut sich ein vergleichbarer Mahlstrom psychischer Beklemmung auf. In der monotonen Enge nämlich zwingt die Ärztin Dr. Dibs (Juliette Binoche) die Männer und Frauen zu Fortpflanzungsexperimenten. Zwar hält sie die Insassen zunächst durch Beruhigungsmittel im Trinkwasser in Schach, doch bricht irgendwann doch mörderische Gewalt in die Schiffsgemeinschaft ein.
Drei düstere Themen ziehen sich durch den Film. Vor der kosmischen Schwärze am offensichtlichsten: Der Mensch – allein mit dem All; kaum besprochen, aber ständig präsent. Ein bedrückendes Szenario, das schon einige Male vor der Kamera thematisiert wurde, ähnlich zum Beispiel in Tarkowskys „Solaris“ (1972), in dem Forscher einer Raumstation dem Wahnsinn verfallen.
Zweitens ist da die faszinierende und zweifelhafte Idee, Häftlinge zu Entdeckern zu machen. In Verkehrung üblicher Science-Fiction-Plots sind die Pioniere der Menschheit mal keine Captain Kirks und Mister Spocks, also nicht die Besten und Klügsten ihrer Spezies – sondern deren Abschaum: Vergewaltiger, Kindsmörder, Junkies, die nicht einmal genau wissen, ob sie je zurückkehren könnten. Der Kosmos als Strafe. Das ethische Problem der Häftlingsarbeit wird hier auf seine äußerste Spitze getrieben: Darf man Schwerstkriminelle in der ungewissen Weite des Alls entsorgen, wenn sie „freiwillig“ zum Ruhmreichsten beitragen, das die aufgeklärte Gesellschaft umtreibt: zur Wissenschaft?
Noch bizarrer jedoch widmet sich der Film der menschlichen Fortpflanzung. Als Ventil für den sexuellen Druck an Bord dient eine geschwärzte Selbstbefriedigungskammer frisch aus dem Fetischkatalog. Darin dann Großaufnahme von Dr. Dibs in Aktion, mit schrillen Tönen unterlegt: ein Hauch von Hexensabbat. Für ihr Ziel, der kosmischen Strahlung zum Trotz lebensfähige Föten hervorzubringen, sammelt Schiffsärztin Dibs von den Männern Sperma und schwängert damit die Insassinnen – gegen deren Willen. Zwar stemmen sich einige mit Abstinenz dagegen, doch perfiderweise hat die „Spermaschamanin“ (O-Ton!) letztlich gerade bei ihnen Erfolg.
Als Zuschauer sinkt man mit wachsender Verstörung in seinen Sessel. Exzesse und Grenzüberschreitungen häufen sich aufeinander, drehen sich immer schneller, zu einem Reigen aus Gewalt und Lebensüberdruss, der das Schiff am Ende leer zurücklässt. Zugegeben: Man folgt brav dem morbiden Spiel, um zu sehen, wer übrig bleibt. Aber am Ende, nachdem die Vorstellung eine Art mystische Auflösung erfahren hat, bleibt man doch fragend-benommen zurück: Warum denn jetzt dieses ganze nihilistische Schauspiel? Bietet uns Regisseurin Claire Denis irgendeine Lektion über Weltall, Erde, Mensch? Oder nur eine Abfolge von immer krasseren Tabubrüchen in einem raketengetriebenen Brutkasten? Wie ein schwarzes Loch zieht „High Life“ in seinen Bann – bleibt aber diese Antwort schuldig.
Ab 30. Mai im Kino
Fotos: Wild Bunch Distribution
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