Netflix und Fechten
Viele von uns reden über, jedoch nicht mit den Mitgliedern von Studentenverbindungen. student!-Redakteurin Leonie Asendorpf hat die Mitglieder der Leipziger Verbindung Corps Lusatia getroffen.
Es ist ein warmer Frühlingsabend. Studierende spazieren plaudernd, ihre Rennräder schiebend, die Karl-Heine-Straße im Leipziger Westen entlang. Das gelbgestrichene Haus Nummer 14 mit der blau-gold-rot gestreiften Flagge im Vorgarten nehmen sie kaum wahr. Es sind die Farben der 1807 gegründeten, ältesten sächsischen Studentenverbindung Corps Lusatia. Als Corps (gesprochen: Kor) wird eine besonders lang bestehende Studentenverbindung bezeichnet. Die aktiven Studenten werden Corpsbrüder und Ehemalige, die ihr Studium bereits abgeschlossen haben und die Aktiven vor allem finanziell unterstützen, Alte Herren genannt.
Rollenverteilung
Heute Abend findet im Corpshaus ein Vortrag zum Thema Vergaberecht statt. Nach einer höflichen Begrüßung per Händedruck und einem Hinweis auf die Garderobe wird man durch das Foyer, vorbei an historischen Fotos der Stiftungsfeste und dem ersten Rektor der Universität Leipzig an einen holzvertäfelten Tresen geführt. Die Corpsbrüder und anwesenden Alten Herren tragen glatt gebügelte Hemden, Krawatte, Seidentaschentücher in der Jackett-Tasche und das obligatorische, ebenfalls in den Farben des Corps gestreifte Burschenband. Am Tresen zapft einer der Studenten Bier Die anwesenden Frauen tragen Bluse und Schmuck, sind geschminkt und trinken Weißwein oder Wasser.
In der „Kneipe“ des Hauses setzen sich alle Gäste an einen massiven U-förmigen Holztisch in der Mitte des großen Raumes. Rund herum an den Wänden befindet sich die Ahnengalerie, in der alle jemals aktiven Corpsbrüder der Verbindung verewigt sind. Weiter hinten im Raum steht ein Klavier mit einem ausgestopften Fuchs darauf. Auf einem großen hölzernen Sessel am Ende des Tisches sitzt Alex. Er ist der für dieses Semester demokratisch gewählte Senior und leitet die Veranstaltung. Rechts und links neben ihm sitzen Julian und Karl, Consenior und Sekretär.
Es geht los. Der Vortragende, ein Leipziger Rechtsanwalt und selbst ehemaliger Corpsstudent, redet laut und gestikuliert ausladend. Die Stimmung unter den Gästen scheint vertraut. Während die Männer jedoch laut reden, trinken und rauchen, scheint die Aufgabe der anwesenden Frauen hier eher die des Schön-Aussehens und Lächelns zu sein. Um das Vertrauensprinzip zu erklären, fragt der Vortragende die Frauen, warum sie immer zur gleichen „Frisöse“ und die Männer, warum sie immer in die gleiche Kneipe gehen. Die Gäste lachen. Nach dem Vortrag erzählt einer der Alten Herren mit dunkelgrüner Filzjacke, dass ihm hier vor allem der Generationenaustausch und das Gemeinschaftsgefühl gefällt. Nach einem letzten Bier bestellen sich die Alten Herren Taxen per App und fahren nach Hause.
„Grundsätzlich unpolitisch“
Zwei Tage später. Heute ist keine Veranstaltung, sondern ein normaler Nachmittag im Haus der momentan sechs aktiven Corpsbrüder. Am Tresen im Wohnzimmer läuft Radio und die Stimmung ist entspannt. Die meisten der aktiven Studenten sind über WG-Gesucht zum Corps Lusatia gekommen. „Grundsätzlich sind wir hier offen für jeden. Es muss aber auch immer mit der aktiven Generation passen“, erklärt Julian, der schon seit über zwei Jahren im Corps ist. Die einzigen Bedingungen: Man muss in Leipzig studieren und männlich sein. Die Nationalität spiele keine Rolle. Wichtig sei allerdings, dass man Verantwortung tragen könne. Pro Semester organisieren die aktiven Studenten mehrere Vorträge, Feste und Empfänge. Außerdem werden regelmäßig befreundete Corps und Alte Herren besucht. Oft wird Kritik daran geübt, dass letztere den Corpsbrüdern mit Jobkontakten in hohen Positionen weiterhelfen. Maximilian, ein großer braunhaariger Typ mit rötlichem Bart und ebenfalls schon seit zwei Jahren aktiv, sieht das aber gelassen: „Vitamin B und die Bevorzugung bestimmter Personen ist ein generelles Problem in unserer Gesellschaft. Das existiert überall.“
Das Corps Lusatia ist eine von 16 Studentenverbindungen in Leipzig. In Deutschland sind es insgesamt über 1.000. „Wir sind als Verbindung grundsätzlich unpolitisch“, macht Julian klar. Das sei auch der größte Unterschied zu Burschenschaften, die ihre politischen Ansichten nach außen tragen würden. Trotzdem differenzierten Außenstehenden wenig zwischen den beiden Gruppen. „Nicht selten wird man als Burschi abgestempelt. Und dann ist man halt unter Umständen noch rechts, frauenfeindlich, homophob und männerbündlerisch. Da kann man sich um Kopf und Kragen diskutieren, aber im Endeffekt kommt nichts bei raus“, erzählt Thomas, das neuste Mitglied der Verbindung. Auf persönlicher Ebene, erzählen die Corpsbrüder, seien sie politisch sehr verschieden eingestellt. Maximilian sagt er wähle links, betont aber, dass vor allem unter den Alten Herren der Großteil konservativ sei. Während er zwischen ausschließlich weißen Männern sitzt meint er, dass ihm an linker Politik unter anderem die Wertlegung auf Diversität gefällt. Die Existenz einer Verbindung wie ihrer sei in gewisser Weise auch ein diverser Fakt und eine Bereicherung für die Gesellschaft.
Pauken
Das Corps Lusatia ist eine pflichtschlagende Verbindung. Das heißt, dass eine aktive Mitgliedschaft mit einer Verpflichtung zum traditionellen Verbindungssport des Fechtens einhergeht. Fünf Tage die Woche stehen die Studenten um halb sieben Uhr morgens auf, um in der Kneipe des Hauses zu „pauken“, also für die sogenannte Mensur, den Fechtkampf mit scharfen Waffen zu üben. Etwa dreimal im Semester kommen die Studenten mit den Mitgliedern anderer Corps eines sogenannten Waffenrings für die Mensur zusammen. Um das Gewinnen gehe es hierbei nicht. „Es geht darum, sich zu überwinden, sich dahinzustellen, weil es kann ja was passieren“, erklärt Thomas. Was „passieren“ kann sieht man an den kleinen Narben, die fast alle oberhalb der Schläfe haben. Anders als beim Pauken ist der Kopf oberhalb der Augen bei der Mensur nicht geschützt. In der Regel dauert es etwa 15 Minuten bis „ausgepaukt“, die Partie also beendet ist. Wenn es zu Verletzungen kommt, wird früher abgebrochen.
Gewalt
Vielen ist die Lebensweise der Corpsbrüder fremd. Neben den klassischen Vorurteilen erleben die Studenten auch Gewalt. Maximilian sieht vor allem die fehlende Differenzierung zwischen Studentenverbindungen als Grund für das Unverständnis: „Burschenschafter machen die Schlagzeilen für uns mit. Deswegen sind wir in den Augen der Leute, die Steine schmeißen und oft auch in der Medienberichterstattung ‚die Burschenschafter‘.“
In der Silvesternacht dieses Jahres gab es einen Angriff auf das Haus des Corps. Auf der Plattform Indymedia wurde ein Bekennerschreiben veröffentlicht, in dem es heißt: „Die ausschließliche Organisierung als Männer mit akademischem Werdegang und konservativen Werten steht jeder Bewegung hin zu einem selbstbestimmten Leben aller Menschen und einem solidarischen Umgang miteinander entgegen.“ Das Haus sei mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen worden und die Tore vor dem Haus mit Fahrradschlössern verschlossen worden, damit niemand rauskommen konnte. „Wir wurden angegriffen, nur weil wir nicht in deren Weltbild passen. Wie reaktionär und falsch ist das denn? Ich stand noch nie vor deren Haus und hab einen Stein durchs Fenster geworfen“, berichtet Thomas. Während sich die Studenten an die besagte Nacht erinnern, wirken sie angespannt. „Die Scheibe wurde gerade eingeschmissen, als jemand das Fenster schließen wollte. Diese Menschen haben in Kauf genommen, dass hier Menschen zu Schaden kommen“, erinnert sich Julian.
Die Kritik an ihrem Corps können die Studenten nicht nachvollziehen. „Im Endeffekt sind wir auch nur eine ganz normale WG“, findet Thomas. „Wenn wir hier an einem Wochenende Freitag und Samstag Veranstaltungen haben, dann sagen wir auch mal: ok, wir machen den Sonntag jetzt ganz entspannt. ‚Komm, kuschel dich in mein Bett und wir gucken ein bisschen Netflix und bestellen eine Pizza.´“, erzählt Julian und alle lachen.
Kaum ist man jedoch aus dem Haus raus und wieder auf der belebten Karl-Heine-Straße, fühlt man sich, als wäre man aus einer Art Parallelwelt wieder zurück in die Zukunft gereist. In das Jahr 2019, wo Männer und Frauen zusammenleben und Studierenden-WGs nicht mit Säbeln und ausgestopften Tieren „geschmückt“ sind.
Fotos: Pia Benthin
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