„Leipzig blutet aus“
Der Wohnungsbau in Leipzig durch Immobiliengesellschaften wie die CG-Gruppe oder die Stadtbau AG bedroht zunehmend die städtische Clubszene. Die Betreiber fordern mehr kulturelle Wertschätzung.
Im Leipziger Norden sind von der Delitzscher Straße aus schon von Weitem die Berge aus Schutt zu erkennen, die sich übereinandertürmen. Plakate werben damit, dass hier dank der Immobilienentwick¬lungsgesellschaft CG-Gruppe ein völlig neuer Stadtteil entstehen soll. Der bekannte Club So&So liegt unter den Trümmern bereits begraben. Ein paar Meter weiter droht dem TV-Club wegen des Bauvorhabens nun Ähnliches. Dank Denkmalschutz bleibt das Gebäude erhalten, doch der Club muss umziehen.
Während der TV-Club und das So&So nach einem neuen Standort suchen und der TV-Club alles für einen Umzug vorbereitet, ergeht es der Distillery am Bayerischen Bahnhof ein wenig besser. Zwar ist auch dort ein neues Viertel geplant, doch die Stadt ist sehr interessiert am Fortbestehen des Clubs. Die Distillery, der älteste Techno-Club Leip¬zigs, wurde bereits 2005 vom städtischen Kulturausschuss als ein kulturell wichtiges Mitglied anerkannt. Ein Umzug lässt sich dennoch nicht vermeiden, wenn auch erst in einigen Jahren.
Denn es ist ein wiederkehrendes Phänomen, dass Firmen wie die CG-Gruppe oder die Stadtbau AG Pläne für die Bebauung der Grundstücke entwerfen und dabei übersehen oder nicht berücksichtigen, dass dort bereits Clubs beheimatet sind. Das berichten die Inhaber des So&So, des TV-Clubs und auch der Distillery. Zwar seien die Firmen schon früh an sie herangetreten, um Lösungen zu finden, doch letztendlich ist das Ergebnis für alle drei dasselbe.
Johannes Reis vom So&So erzählt, dass unter den Clubbetreibern große Solidarität bestehe. Wenn sie vertrieben werden, bauen sie sich an anderer Stelle wieder auf. Darin sind sich alle drei Clubs einig. Doch das eigentliche Problem bleibt vorerst bestehen. „Viele nehmen Clubs nicht als Kultur wahr, sondern lediglich als private Wirtschaftsunternehmen“, bringt es Steffen Kache, der Inhaber der Distillery, auf den Punkt. Was er und Reis sich wünschen, ist Unterstützung aus der Politik. Reis und Kache bringen im Gespräch eine Idee ins Spiel, die ihrer Ansicht nach Abhilfe schaffen könnte: eine Kulturausgleichsmaßnahme. Der Begriff stammt eigentlich aus dem Naturschutz. Demnach muss, wenn ein Baum verschwindet, ein neuer als Ersatz gepflanzt werden. Eben das solle auf Kulturinstitutionen wie Clubs übertragen werden. „Die Stadt sollte definitiv clubfreundlicher werden“, so auch die Meinung von Clemens Netzer und Lena Rath, den Vorsitzenden des TV-Clubs. „Wir sind mehr als ein Zappelschuppen“, betont Steffen Kache.
In der Ratsversammlung vom 22. Mai beschlossen die Stadträte auf Antrag der Piraten nahezu einstimmig, die Clubs in Zukunft besser zu unterstützen. Bis Ende 2019 soll die Clubszene untersucht und Leitlinien zu deren Entwicklung erarbeitet werden.
Die Betreiber setzen große Hoffnungen in diese Entwicklung. Reis findet abschließend noch einige Worte dazu: „Wenn Clubs und alle Akteure, die im weitesten Sinne Kultur betreiben, verloren gehen, muss das irgendwo an anderer Stelle neu entstehen. Sonst blutet Leipzig irgendwann aus.“
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