Nostalgie und Courage
Der irische Präsident Michael D. Higgins war heute als Teil seiner Deutschlandreise zu Gast in Leipzig. Im Paulinum sprach er über Europas Zukunft und wie man aus der Vergangenheit lernen kann.
Die schönste Zeit des Lebens: Für Michael D. Higgins war das seine Studienzeit. Der irische Präsident besuchte heute die Universität Leipzig als Teil seiner Europareise. Am Tag zuvor aß er mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin zu Abend. In Leipzig besichtigte er die Universität und die Nikolaikirche. Dabei war es ihm besonders wichtig, an der Universität Leipzig zu sprechen, weil das Keltische hier eine lange Tradition hat: Der Sprachwissenschaftler Ernst Windisch schrieb hier das erste irisch-deutsche Grammatikbuch.
Higgins spricht in seinem Vortrag im Paulinum viel über Glück, begleitet vom Summen der Simultanübersetzungsgeräte. Es sei großes Glück, aus der Vergangenheit lernen zu können und auch, sich mutig neuen Ideen öffnen zu können. Universitäten, betont er während seiner Rede, haben die Aufgabe, für beides Räume zu schaffen. Vorgestellt wurde er von Rektorin Beate Schücking und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Schücking spricht dabei in flüssigem Englisch, Kretschmer bleibt lieber beim Deutschen.
Zwischen altem und neuem Wissen bewegt sich der ganze Vortrag des untersetzten Mannes. Mit ruhiger Stimme und ausschweifender Gestik malt er sein Bild von der Zukunft Europas. „Es gibt wohl keinen besseren Ort, um über die Zukunft Europas zu reden, als Leipzig“, mutmaßt der 78-Jährige. Wie Leipzig am Ende des letzten Jahrhunderts stehe auch Irland heute an einem Scheideweg. Damals zeigten sich die Probleme Europas in Leipzig unter dem Mikroskop, heute in Irland. Denn an der irisch-nordirischen Grenze werden die Konsequenzen des Brexit, von Nationalismus und Abschottung, besonders deutlich. So ist es nicht nur Glück, von dem er berichtet, sondern auch Herausforderungen.
Wo also Lösungen finden? Sicherlich im Respekt vor der eigenen Geschichte. „Die Vergangenheit wirft Licht auf die Gegenwart.“ Seine eigene Vergangenheit würdigt er durch keltische Sätze. Alle Anwesenden ohne Übersetzungsgerät sind dabei ein bisschen aufgeschmissen. Alte Sprachen müssten erhalten bleiben, um das Wissen, das in ihnen transportiert wird, zu bewahren, fordert Higgins. Dafür stehe auch die Universität Leipzig, an der viele Minderheitensprachen unterrichtet werden, wie etwa Sorbisch.
Allerdings gehen mit einem nostalgischen Blick auf die Vergangenheit auch Gefahren einher, warnt Higgins. Aus der romantisierten Vergangenheit konnte auch Nationalismus entstehen. Eine verklärte Sicht auf frühere Zeiten ist also nicht die Lösung: „Wir müssen über Pessimismus hinauswachsen.“ Hinauswachsen bedeute, den Mut zu finden, das scheinbar Feststehende in Frage zu stellen. Denn Klimawandel und die undemokratischen Konsequenzen des Kapitalismus seien nicht „das Ende der Geschichte“. Sein Prinzip, das die EU erneuern soll, nennt er „Ökonomie, Ökologie und Ethik“.
Am Schluss zitiert der in Limerick geborene Präsident die Ode an die Freude. Diesen Text müsse man ernst nehmen. Die glücklichste Zeit seines Lebens war also, so klingt es im Vortrag von Higgins an, geprägt durch den Optimismus, der mit jedem Neuanfang einhergeht. Seinen Optimismus kann der irische Politiker dann auch noch beweisen: Am Ende der Rede fällt der kleine Mann fast vom Podest, auf dem er steht. Er lacht herzlich und wendet sich lächelnd den wartenden Zuhörenden zu. Dann verschwindet er zwischen den Menschen, nur sein feiner weißer Haarschopf ragt noch hervor. In den kommenden Tagen wird er noch Würzburg und Frankfurt besuchen.
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