Full Force 2019: Drei Tage Feuer, Glut und Metall
Trotz Hitze feierten vom 28. bis 30. Juni 16.000 Metal- und Hardcore-Fans im endzeitlichen Ferropolis. luhze-Redakteur Dennis war einer von ihnen.
Der nicht gerade kurze Weg auf die Ferropolis-Halbinsel bei Dessau führte zunächst über den Campingplatz, auf dem es sich die europaweit angereisten Hardcore-Fans mitsamt Bierdosenaufbauten gemütlich gemacht haben. Bei der Geruchsmischung aus Bier, Sonnencreme, Schweiß und Tabak breitete sich sofort Festivalstimmung aus. Die Sonne knallte durch den Staub auf den Asphalt, der an Fress- oder Merchbuden, Zelten und Wagenburgen vorbeiführte, während überall entweder Metal oder Techno aus den mitgebrachten Konserven dröhnte.
Tag 1
Auf dem kurzen Marsch begleiteten mich Fans mit Bandshirts, Mario- und Luigikostümen oder ein Typ mit Kalaschnikov-Tattoo auf einem Cityroller, dem ein anderer zuruft „Cityroller sind doch verboten hier!“. Endlich angekommen erinnerte das Festivalgelände an ein Endzeitszenario. Fünf Braunkohlebagger umringten die Mainstage auf dem Infield, die passenderweise den Name „Mad Max Stage“ trug.
Ich kam pünktlich zur Show von Any Given Day. Während der Performance sprach mich ein Dude mit Verweis auf mein Presseband an und fragte, ob ich denn auch Fan sei oder nur von irgendeinem Medium darüber schreibe, dass das alles „nur so Krach“ sei. Der Verweis auf mein Parkway-Drive-Shirt überzeugte ihn nicht.
Die zweite und kleinere „Medusa Stage“ war von der Lautstärke her extrem ohrenfeindlich und befand sich am Strand, an dem die Besucher vorrangig mit Baden oder schon mit Ausnüchtern beschäftigt waren. Die Thrash-Metal-Band Municipal Waste fand das Strand-Setting so gut, dass sie ankündigte, nach dem Set nackt baden zu gehen – natürlich nur mit den Fans gemeinsam.
Nachdem sich mein Trommelfell wieder akklimatisiert hatte, schaute ich mir mal das Festivalgelände genauer an. Vorbei an einem Typen mit Klobürste und Spongebob-Hut, der gerade auf den Sand kotzte, sah ich alles, was man neben der Musik für ein Festival braucht – es fehlte an nichts.
Bevor The Amity Affliction in der dritten und überdachten „Hardbowl Stage“ loslegten, kam ich mit einem Schweden ins Gespräch. Er erklärte mir, er sei nur wegen des Full Force nach Deutschland gekommen und zeigte stolz seine Bandtattoos.
Gegen 23 Uhr war dann Headlinerzeit für die Koalas von Parkway Drive. Lautes Knallen, Flammenstöße und Lichtblitze überzogen die Bühne während die Band mit einem inszenierten Fackelmarsch aus einem Transportpanzer inmitten durch das Publikum auf die Bühne schritten und dramatische Musik das Spektakel begleitete. Die Darbietung selbst war auf hohem Niveau, das Publikum bewegte sich wie eine Welle und dann noch das engagierte Streichquartett – Gänsehautqualität!
Als Abschluss des Tages gab ich mir noch die Ukrainer von Batushka. Was zunächst wie der Beginn einer Messe aussah, bei der Kuttengestalten Kerzen anzünden und Weihrauch verteilten, war der Beginn einer eindrucksvollen Black-Metal-Show.
Tag 2
Am zweiten Tag war ich zu meiner Schande spät dran und konnte einen Teil der Crystal Lake Show nur durch die über den See getragenen Breakdowns der Japaner donnern hören. Im Zelt angekommen, kochte die Stimmung. Die Band gab alles und das Publikum flippte bei dem stabilen Leersaitengeballer aus. Der letzte Song „Prometheus“ hatte gegen Ende einen besonders technisch brachialen Breakdown, der in hoher Erwartung der Fans und mir gebührend empfangen wurde.
Auf der Mainstage spielte im Folgenden die Hallenser Band Annisokay. Die Laune war trotz der stehenden Luft gut, als ein Typ eine fliegende Sangriapackung über die Schulter bekam, beeindruckte ihn das kaum und eine stabile Wall of Death gab es auch.
Das Highlight des Tages für mich: die kalifornische Hardcore-Band Terror. Schon beim Eintreten und Sichten der Schränke mit Old-School-Hardcore-Shirts war klar: Es wird hier gleich ordentlich Chaos geben, schließlich ist der Sound der Kalifornier prädestiniert dafür, sich durch das Publikum zu moshen. Die Band riss gemeinsam mit den Fans das Zelt quasi ab und alle waren sichtlich zufrieden. Die Headliner des Abends, Arch Enemy, hauten ebenfalls eine aufwendige Pyro-Show raus und zwischen den Feuerseulen growlte sich Frontfrau Alissa White-Gluz die Seele aus dem Leibe.
Tag 3
Tag drei, 38 Grad, Sonnenbrände und nasse Handtücher auf den Schultern, wohin man schaute. Die Band Ignite unterhielt das Publikum zwischen den Songs mit motivierenden Durchhalteparolen und gab trotz der Hitze alles. Danach sorgten Harms Way in der Zelt-Stage für ordentlich Bewegung im Publikum. Die Mimik des Sängers erinnerte eher an eine Sitzung im Fitnessstudio als an einen Auftritt und wie es sich für eine Beatdown-Hardcore-Show gehört, haute man sich natürlich im Takt der Breakdowns die Fresse dick. Leider ging dabei ein Fan K.O. und die Security musste eingreifen.
Am meisten habe ich dem Auftritt der US-Amerikaner von Whitechapel entgegengesehnt. Ich stellte mich ganz nach vorn, um den Vibe optimal einfangen zu können. Frontmann Phil Bozeman ist im Gegensatz zu dem Sänger Dude von Harms Way kein Muskelberg, eher klein und wirkte mit dem dunkelgrauen Polohemd auch nicht gerade auffällig. Doch seine Growls waren die pure Machtdemonstration. Die Blastbeats ballerten über das Infield und wirkten ganz vorn wie eine Herzmassage mit einer Nähmaschine samt gesundheitsunkonformer Trommelfellakupunktur, die von der tiefen und bedrohlichen Stimme des Sängers begleitet wurden. So fühlt sich der geneigte Deathcore-Fan wohl.
In der „Hardbowl Stage“ ging am späteren Abend die Post-Hardcore-Band Our Last Night an den Start. Zwar hab ich die Band gelegentlich gehört, doch live erwartete ich gerade auch im Anbetracht der Band-Inflation der letzten drei Tage nicht viel. Umso überraschender war dann die unglaublich gute Show der Neu-Engländer. Die enorm starken Vocals und das fette Breakdown-Gewitter entluden sich unter der Plane, die Zuschauer tobten und hatten auch dann noch gute Laune, als zwei Mal während der Show der Strom plötzlich weg war und die Band mit „One more Song“-Rufen stichelten.
Den Limp-Bizkit-Auftritt saß ich mit mehreren alkoholfreien Getränken aus, um mir anschließend noch das Synthwave-Projekt von Pertubator zu geben. Mit Hardcore oder Metal hatte das bis auf die Verwendung eines Schlagzeuges nichts gemein, vielmehr waren hier düstere und schwere Electro-Beats angesagt. MC James Kent erhob mit bösem Blick die Faust, das Publikum war begeistert und die Zeltbühne verwandelte sich in eine Cyberpunk-Dystopie – ein guter Abschluss des Festivals und die Reaktionen der Zuschauer zeigten auch, dass die Szene keine Scheuklappen trägt.
Fotos: Dennis Hänel
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