„Es ist höchste Zeit, dass eine Frau ans Ruder kommt“
Alfred Weidinger, Direktor des Museums der bildenden Künste, spricht im Interview mit luhze über seine kurze Zeit in Leipzig. 2020 wird er die Stadt und das Museum verlassen.
Im Juni dieses Jahres bat der gebürtige Österreicher Alfred Weidinger die Stadt Leipzig um eine frühzeitige Auflösung seines Vertrages als Direktor des Museums der bildenden Künste (MdbK). Eigentlich sollte Weidinger bis 2023 in Leipzig bleiben. Der Kunsthistoriker und Museumsmanager ist seit 2017 der Nachfolger von Hans-Werner Schmidt, der zuvor 17 Jahre lang das MdbK leitete. Im Juli traf sich luhze-Redakteurin Pia Benthin erneut mit Weidinger, um mit ihm über seine Arbeit in Leipzig, aber auch seine Pläne für die Zukunft zu sprechen. Ab 2020 wird Weidinger die Leitung des oberösterreichischen Landesmuseums in Linz übernehmen.
luhze: Warum verlassen Sie das MdbK frühzeitig?
Alfred Weidinger: Die Entscheidung hat nichts mit dem Museum oder der Stadt zu tun, sondern hat im Wesentlichen persönliche Gründe. Drei Jahre sind ein sehr kurzer Zeitraum. Als ich in Leipzig angefangen habe, habe ich dem Oberbürgermeister gesagt: Ich brauche drei Jahre, bis das Institut wahrgenommen wird. Dann braucht es ein weiteres Jahr, um es zu stabilisieren und im vierten und fünften Jahr wird sich der Erfolg einstellen ─ Erfolg im Hinblick darauf, ein Museum für alle Generationen zu schaffen. Was ich in drei Jahren vorgehabt habe, ist weitgehend in zwei geglückt. Es ist uns gelungen, dass uns die Menschen wahrnehmen. Wir spielen in Deutschland eine Rolle, und zunehmend auch international. Das Museum ist an einem guten Punkt angelangt. Es braucht niemand traurig sein, wenn ich gehe. Diese Entscheidung wird Leipzig gut tun.
Ihre Stelle ist international ausgeschrieben. Wie würde Ihre Idealbesetzung aussehen?
Es gibt natürlich viele Kolleginnen oder Kollegen, die man kennt und an die man nun denkt. Deshalb werde ich aktiv Kolleginnen und Kollegen anrufen und ihnen nahelegen, sich um meine Nachfolge zu bewerben. Das MdbK ist in Deutschland eines der interessantesten Häuser, das man leiten kann, denn es hat eine Zukunft, viele andere Häuser nicht mehr.
Wenn man sich die Direktoren vor mir anschaut, waren es immer Männer. Ich denke, mein Programm zeigt, dass Künstlerinnen eine große Rolle spielen. Aber am Ende geht es auch um eine Quote und ich finde es wichtig in Quoten zu denken, weil man sich permanent vorhält, wie die Situation ist. Ich würde sagen, es ist höchste Zeit, dass eine Frau ans Ruder kommt in diesem Haus. Deshalb würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn ich es einer Kollegin in die Hand drücken könnte. Aber am Ende ist der Auswahlprozess demokratisch und die oder der Beste wird sich durchsetzen. Ich kann also nur darauf hoffen, dass sich viele Kolleginnen bewerben.
Sie sagen, das MdbK hat eine Zukunft, viele andere nicht. Wie sieht für Sie das Museum der Zukunft und der Weg dahin aus?
Im Wesentlichen sind Kunstmuseen Stätten für die urbanen Eliten. Viele Museen fahren ein Programm für sehr wenige Menschen. Kunstmuseen sind am Ende immer noch große Burgen, die vielen Menschen den Eintritt verwehren. Sie erstreben nicht, niedrigschwellig zu sein. Dabei wissen wir, dass die Schwellenangst eigentlich das größte Handicap der Museen heutzutage ist. Die Vision, die ich habe: einen Demokratisierungsprozess zu eröffnen, partizipierende Programme und mehr Menschen ins Haus zu bringen. Ich glaube, das ist der Weg, der Museen in die Zukunft führen kann. Beispielsweise hat uns ein Künstler ein Bild angeboten und ließ uns aus drei Werken wählen. Daraufhin haben wir die Bevölkerung abstimmen lassen – vor 20 Jahren noch wäre das undenkbar gewesen, weil man meinte, es führe auf eine schlechte Entscheidung hinaus. Ich aber glaube an Menschen und ihre Urteilskraft. Es gab drei Bilder an der Wand und ein iPad. Innerhalb von zwei Monaten haben sich über 7.000 Leipzigerinnen und Leipziger an dieser Wahl beteiligt. Aus der Sicht meiner Kuratoren haben sie das richtige Bild ausgewählt.
Die Zeit der klassischen Kunstmuseen ist vorbei, diese Museen wird es immer geben, weil sie ihre Berechtigung haben. Aber sie sind längst selber zum Museum geworden. Das MdbK ist auch ein Paradebeispiel dafür, was ein Kunstmuseum nicht sein sollte. Im Volksmund heißt es Bildermuseum. Die bildende Kunst alleine ist es aber nicht mehr, wir müssen interdisziplinär arbeiten. Ein Museum, was sich mit zeitgenössischer Kunst auseinandersetzt, kann ohne Performance nicht arbeiten. Performance ist keine bildende Kunst, sondern darstellende. Wir dagegen wollen Formate schaffen, die viele Menschen ins Museum bringen, auch die, die normalerweise nie ins Museum gehen würden. Durch Abbau der Schwellenangst haben wir das erreicht.
Was werden Sie am meisten an Leipzig und am MdbK vermissen? Und was nehmen Sie mit nach Linz?
Meine Entscheidung, Leipzig zu verlassen, ist wirklich eine schwere. Es tut unglaublich weh. Auf der anderen Seite weiß ich, dass es richtig ist. Jeder muss sich weiterentwickeln und über den Tellerrand schauen. Ich hätte vieles nie machen können, wenn ich nicht immer wieder ausreißen würde. Aber eines ist mir jetzt schon klar: Es ist das interessanteste Museum, was ich jemals geleitet habe. Aber es ist auch diese Offenheit der Stadt und das Demokratieverständnis hier. Ich nehme Leipzig wirklich im Herzen mit, gute Freundschaften mit Künstlerinnen und Künstlern. Das ist kein Schlussstrich, ganz im Gegenteil. Und sicher wird es so sein, dass das ein oder andere Mal eine Position aus Leipzig oder Ostdeutschland in Österreich zu sehen sein wird. Meine Erfahrungen aus Leipzig haben mich ermutigt, ich nehme sie mit an meine neue Wirkstätte. Da bin ich ja auch nicht mehr zuständig für eine Stadt, sondern für ein ganzes Bundesland, eines der größten in Österreich. Da möchte ich das, was ich hier in Ansätzen erfahren und erlebt habe, auch umsetzen.
Von einem Kunstmuseum zum oberösterreichischen Landesmuseum in Linz ─ das ist ein großer Schritt, oder?
Ja, das ist eine ganz andere Richtung und das ist spannend. Es war immer mein Ziel, so viele Leute wie möglich zu erreichen und ihnen Kunst nahe zu bringen. Ich möchte, dass Kunstmuseen Relevanz haben. Im 19. Jahrhundert hatten sie eine. Aber viele sind da stecken geblieben, an diesen Schrauben gilt es zu drehen und damit zu brechen.
Das Landesmuseum, wie der Name schon sagt, ist für das ganze Land zuständig – für knapp über zwei Millionen Einwohner. Dort sind wir für alles zuständig, von Musikinstrumenten bis Kunst. Für mich ist das alles gleichwertig. In einem Universalmuseum habe ich die Möglichkeit, meine Vision von einem Museum der Zukunft zu konstruieren. Bisher ist das Museum weit unter der Wahrnehmungsschwelle, auch weil es seit zwei Jahren keinen wirklichen Direktor in Linz gab, nur Interimslösungen. Das ist der Tod jedes Museums. Deshalb werde ich auch in Leipzig bleiben, bis es eine Nachfolge gibt. Ich habe dieses Haus in einer Interimsphase übernommen und das ist etwas, was man dem Haus nicht antun kann. Der früheste Zeitpunkt ist März, weil ich Klinger (Am 6. März eröffnet anlässlich des 100. Todestages des Leipziger Künstlers Max Klinger die Ausstellung „Klinger 2020“; Anm. d. Red.) unbedingt noch eröffnen will. Aber es kann durchaus Mai, Juni oder Juli sein.
Welche Unterschiede sehen Sie in der Museumslandschaft in Österreich und Deutschland?
In Österreich haben Museen einen anderen gesellschaftlichen Stand. Hier in Leipzig ist das Höchste die Musik, dann kommen die Theater und dann die Museen. In Österreich ist alles auf demselben Level. Das hier so stark unterschieden wird, kannte ich erst nicht. Ich glaube aber, das große Potential von Leipzig liegt definitiv in der Kunst und den vielen Künstlerinnen und Künstlern die hier leben. Leipzig ist schon längst eine Kunststadt geworden, man muss es nur erkennen.
Was ist Ihr Lieblingsort in Leipzig?
Was Leipzig besonders macht, sind wahrscheinlich die Parkanlagen. Es ist einfach unglaublich, dass man mitten im Zentrum so viel Grün hat. Was das MdbK angeht, da kann ich nur das ganze Haus sagen. Aber der interessanteste Raum ist wohl die Terrasse, auf der Morning Beams von Yoko Ono war.
Fotos: Pauline Reinhardt
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