Die Desillusion, die wir nicht brauchen
Kolumnistin Hanna hat nach 14 Jahren ihre frühere Lieblings-Telenovela angeschaut und bereut es zutiefst. Dies ist keine Anleitung zum Selbstversuch, vom Nachahmen wird dringend abgeraten.
Am 28. Februar 2005 betrat Lisa Plenske das erste Mal Kerima Moda, sie lernte Sabrina kennen, Agnes, Hugo und natürlich David Seidel. Mit zerzausten Haaren, Zahnspange und Brille eroberte sie Folge für Folge sein Herz – und unsere gleich mit.
„Verliebt in Berlin“ war zwei Jahre lang unsere Passion. Meine beste Freundin und ich kannten alle Charaktere der Telenovela in- und auswendig, hatten unsere Lieblingsfiguren und solche, die wir abgrundtief hassten. Und natürlich schwärmten wir für den schleimigen David. Wir warteten von Episode 1 an auf die Verwandlung des hässlichen Entleins in die schöne Lisa, die endlich ihren Traummann heiratet.
Zuhause gab es bei uns früher nur einen Fernseher und meine Brüder bestimmten das Abendprogramm. Also ging ich montags bis freitags um 19:15 Uhr rüber zu meiner besten Freundin, die praktischerweise nebenan wohnte. Rückblickend war es das schönste Abendritual.
Neulich unterhielt ich mich mit einer Freundin über die „krassen Folgen“, die Hochzeit am Ende und den gescheiterten Versuch des Senders, Lisa Plenske in der zweiten Staffel durch ihren plötzlich aufgetauchten Halbbruder Bruno zu ersetzen. Abends scrollte ich durch Netflix und hatte auf nichts wirklich Lust. Also googlete ich „Verliebt in Berlin ganze Folgen“ und schwups, sah ich mich in den ersten fünf Episoden Lisa-David-Drama gefangen.
Zuerst kamen ganz viele Gefühle auf einmal hoch. Alle zwei Minuten hätte ich am liebsten laut „Achja“ gerufen und „Ach das ist die Schwester von dem?“ oder auch „Oh mein Gott, diese Klamotten“. Ich machte Fotos und schrieb mehreren Personen: „Ganze Folgen ViB!!!“
Doch mit jedem schlechten Dialog, jeder Szene, in der Lisa aufgrund ihrer äußeren Erscheinung ausgelacht wurde, verzog sich mein Gesicht mehr. Ein ganz unwohles Gefühl breitete sich aus. Das Bild, das ich von „Verliebt in Berlin“ bisher hatte, war ziemlich nah dran an „Beste Serie aller Zeiten“. Schon klar, ich hätte mir denken können, dass mich die Liebesgeschichte um Lisa und David heute nicht mehr so vom Hocker reißt wie damals. Aber ein bisschen mehr Begeisterung hätte ich von mir selbst schon erwartet. „ViB“, das passt eben zu ICQ, zu meinem ersten Klapphandy und zu „Willst du mit mir gehen?“-SMS.
Es lässt sich einfach nicht ignorieren, dass sich die Welt und mein Verständnis von einer guten Serie in 14 Jahren ein bisschen verändert haben. Unstimmige Erzählstränge, abscheulich platte Figuren und ein so schreckliches Frauenbild, dass ich meinem 10-jährigen Ich am liebsten nachträglich verboten hätte, sich 645 Folgen von dieser Telenovela rein zu ziehen, brachten mich schließlich dazu, meinen Laptop zuzuklappen.
Ob „Verliebt in Berlin“ einen großen Einfluss auf mich hatte, kann ich rückblickend nicht sagen. Es waren montags bis freitags wunderbare 25 Minuten Lebenszeit. Als die Telenovela irgendwann abgesetzt wurde, war ich natürlich empört. Aber am Ende hat mir auch nicht wirklich etwas gefehlt. Es ist so eine Sache mit Telenovelas: Sie erscheinen für den Moment unersetzlich, aber sie sind nichts, das man am Ende wirklich braucht.
Falls ihr also bis hier hin gelesen und nicht bereits bei „Ganze Folgen ViB!!!“ einen anderen Tab geöffnet habt, empfehle ich wärmstens: Lasst es sein. Bleibt bei den Gesprächen darüber oder hört euch einfach die Titelmelodie auf Spotify an – auch kein gutes Lied, aber es zerstört keine Illusionen.
Titelbild: Hanna Lohoff
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