Eine von 40
40 Acts werden auf dem diesjährigen Highfield Festival auftreten. Darunter ist eine Frau. Und das Highfield ist nicht das einzige Festival, das Genre-Diversität über Gender-Diversität stellt.
Die Bässe sind laut, das Wetter ist gut und die Laune noch besser. Es ist Festivalsaison. Schweiß, Glitzer und Sonnencreme werden eins. Die Haare wehen im Wind. Ein bunt gemischtes Publikum tanzt zur Musik. Nicht ganz so bunt gemischt sieht es jedoch auf den Bühnen aus. Schaut man sich die Line-ups verschiedener Festivals in Deutschland einmal an, zum Beispiel das vom Highfield, vom Helene Beach Festival, vom Lollapalooza, vom Kosmonaut und vom Hurricane, fällt eines auf: Die meisten Headliner sind Männer.
Kein Spiegel der Gesellschaft
Da stehen Namen ganz oben wie K.I.Z, Trettmann, Twenty One Pilots, die Toten Hosen, Foo Fighters und Thirty Seconds to Mars. Frauen findet man ab Zeile zwei und abwärts. Wenn man sie findet. Beim Highfield zum Beispiel steht die Rapperin Sookee ganz klein in der 13. Zeile. Zudem tritt sie Samstag als erster Act schon um 13:30 Uhr auf der Blue Stage auf. Zu solch frühen Auftritten kommen auf Festivals meist nur sehr wenige Leute, weshalb dort oft Künstler*innen auftreten, bei denen weniger Publikum erwartet wird. Frauen finden auf Festivalbühnen wenig bis gar keine Repräsentation, was in keiner Weise die Gesellschaft darstellt und eindeutig ein falsches Zeichen an das Publikum sendet. Das Magazin für Festivalkultur Höme hat auf Hoemepage.com ausgezählt, wie viele Frauen 2018 auf den Festivalbühnen standen – Bei Rock am Ring waren es acht von 73, das britische Wireless Festival zählte gerademal drei Frauen bei 33 Acts und das Lollapalooza in Berlin 14 von 60. Das Highfield Festival im Süden Leipzigs hatte 2018 eine Band als Headliner (Broilers), in der eine Frau dabei ist, ähnlich sah es 2017 mit Silbermond aus.
Männer-Sturm
Als das Hurricane Festival, eines der größten Musikfestivals Deutschlands, die ersten 25 Acts bestätigte, war darunter nicht eine Frau. Das finale Line-up beinhaltete dann weibliche Acts wie Gurr, Sookee, Christine and the Queens und andere. Auch wenn deutlich in der Unterzahl und nie als Headliner. Positiver stehen das Lollapalooza in Berlin mit Billie Eilish und Rita Ora an den Hauptbühnen und das Elektrofestival Melt mit Jorja Smith und Helena Hauff als Headliner da.
Die Vorzeigefestivals
Nach dem Melt Festival postete das DJane Duo Hoe_mies, die als Vorband für Bilderbuch in Leipzig gespielt haben, in Bezug auf die Diversität des Publikums folgendes auf Instagram: „Honestly we’ve never seen this many queer people and BPOC at any other mainstream festival so far. We really enjoyed the energy they brought and most of all, black, brown and queer presence made us feel so much safer.” Die Diversität des Publikums sollte es doch auch auf die Bühnen schaffen. Das Melt und auch das Lollapalooza wirken zwischen den anderen fast schon wie Vorzeigefestivals. Umso erstaunlicher, dass die Pressestellen beider Festivals trotz mehrfacher Nachfrage keine Statement liefern wollen.
Kosmische Auswahl
Dafür hat sich Jonas Seetge von der Künstleragentur Landstreicher Booking zu dem Thema geäußert. Landstreicher veranstaltet unter anderem das Kosmonaut Festival und das Pulse Open Air, hat aber auch Künstler*innen wie Kraftklub, Blond, Casper und K.I.Z unter Vertrag. Auf dem Kosmonaut gibt es laut Seetge keine Frauenquote, aber es gibt den Ansatz „junge Künstlerinnen zu supporten und sie weiter zu pushen“. Kleinere Festivals wie das Kosmonaut hätten es schwerer, an große Künstler*innen ranzukommen und setzen eher auf national bekannte Bands. Seetge spricht vom „ökonomischen Druck, den man als Veranstalter hat“, dieser sei bei Veranstaltern wie Scorpio, die das Hurricane, Highfield und das Southside organisieren, höher als bei freien Veranstaltern wie dem Kosmonaut. Als Booker habe man die Wahl, viele Tickets zu verkaufen oder Künstlerinnen mit weniger Publikum auf die Bühne zu bringen. „In Deutschland gibt es noch nicht so eine große Bandbreite an Künstlerinnen, die viele Tickets verkaufen, um sie auf die Hauptbühnen zu bringen“, sagt Seetge. Als Gegenbeispiele nennt er Nura und Juju als Solokünstlerinnen und ehemals SXTN.
Das Kosmonaut versuche laut Seetge, Newcomerinnen eine Bühne zu bieten, damit sie Stück für Stück bekannter werden. „Gerade in Deutschland muss man Künstlerinnen eine Plattform bieten und sie in den nächsten Jahren fördern“, erläutert er, es sei kurzfristig gedacht, nur bekannte Männer zu präsentieren. Er ist sich aber sicher, dass international bekannte Festivals wie das Lollapalooza diesen Einfluss vor Augen haben und bewusst wählen. Neben den Headliner Rita Ora und Billie Eilish stehen da Alli Neumann, Alli X, Lari Luke, Mia Morgan, Amili und weitere auf den Bühnen. Auch das Kosmonaut bot dieses Jahr Frauen eine Bühne, darunter Nura, Loredana, Lari Luke, Blond, Josi Miller, Hoe_mies, Alli Neumann, Mia Morgan, Amili, Ankathie Koi und mehr.
Genre-Diversität über Gender-Diversität
Jonas Rohde vom Presseteam des Highfield Festivals verweist zu der Frage nach zu wenigen Frauen auf den Bühnen auf eine Pressemitteilung. Dort heißt es: „Dass Frauen in manchen Musikrichtungen in der Unterzahl sind, hat auch komplexere Gründe: Neben gesellschaftlich und medial geprägten Rollenbildern fallen erste Entscheidungen beispielsweise schon unbewusst bei der Musikinstrumentenwahl. Festivals sind immer Ausprägungen unserer Gegenwartskultur, und einer nachhaltigen Veränderung muss zwingend ein gesamtgesellschaftlicher kultureller Wandel vorangehen.“
Rohde wünscht sich für das Highfield auch mehr Frauen auf Festivalbühnen, das oberste Ziel sei jedoch „künstlerisch-musikalische Diversität, eben eine reizvolle Mischung aus bekannten Namen und Newcomern der für unsere Besucher interessanten Genres“. Laut Homepage ist das Highfield „das größte Indie-Rock-Festival Ostdeutschlands“, 2019 sieht man jedoch auch deutliche Deutschrapeinflüsse und andere Genres. Rapperinnen wie Nura und Loredana würden neben Rappern wie UFO361 und Bonez MC in dieses Genre passen. Jonas Seetge von Landstreicher Booking weist aber auch auf den Gebietsschutz hin, der besagt, dass verschiedene Festivals im Umkreis von teilweise bis zu 300 Kilometer in der gleichen Saison nicht dieselben Künstler*innen buchen dürfen.
Quotenfestival
Ob eine Frauenquote die Diskrepanz lösen würde, dazu haben Seetge und Rohde unterschiedliche Meinungen. Rohde setzt eher auf Förderung junger Talente, zum Beispiel mit dem Schulband-Wettbewerb „Schooljam“: „Wir glauben, dass sie erfolgreicher sind als eine bloße Quote, die eben nie mehr sein kann als ein Zeichen.“ Als Beispiel für ein Festival mit Quote hat sich das Pulse Open Air vom Bayerischen Rundfunk eine 50/50-Quote als Ziel gesetzt. Im Interview mit jetzt.de sagt Booker Andy Barsekow: „Wir machen ja kein schlechteres Booking, sondern ein ausgeglicheneres.“
Als Festivalbesucher*innen bleibt nichts anderes übrig, als sich des Problems bewusstzuwerden und gezielt auszuwählen, wohin man geht und wohin nicht. Dann sehen die Line-ups 2020 vielleicht anders aus. Neben der Repräsentation von Frauen muss sich auch in der der LGBTQIA+-Community und bezogen auf People of Colour noch einiges tun. Sonst stehen in ein paar Jahren nur noch alte, weiße Männer auf der Bühne.
Titelbild: Ole Nonnengießer
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