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  • „Die Frauen aus den 70ern stehen jetzt im Fokus“

    Mit 76 Jahren eröffnet Ursula Reuter Christiansen im MdbK ihre erste institutionelle Ausstellung in Deutschland. Ein Gespräch über Kunst, Feminismus und den langen Weg zur musealen Anerkennung

    Am 9. August eröffnete die Ausstellung „Der Rote Fluss“ der Künstlerin Ursula Reuter Christiansen im Leipziger Museum der bildenden Künste (MdbK). Reuter Christiansen ist 1943 in Trier geboren. Unter Joseph Beuys studierte sie von 1966 bis 1969 an der Kunsthochschule in Düsseldorf, wo sie ihren Mann, den Fluxus-Künstler Henning Christiansen, kennenlernte. Nach dem Studium und der Hochzeit ging sie mit ihrem Mann nach Dänemark, wo sie bis heute lebt. „Der Rote Fluss“ ist ihre erste umfassende Ausstellung in Deutschland. luhze-Redakteurin Pia Benthin traf die Künstlerin zusammen mit ihrer Assistentin im Museumscafé zum Interview.

    luhze: Wie hat es Sie und Ihre Ausstellung nach Leipzig verschlagen?

    Ursula Reuter Christiansen: Nach meinem Studium bei Joseph Beuys an der Kunsthochschule in Düsseldorf wollte ich raus aus Deutschland. Da mein Mann Däne war und ich nach Dänemark wollte, sind wir mit unserem Sohn auf einem verfallenen Bauernhof auf Møn gezogen. Meine Karriere in Düsseldorf wurde dadurch brutal unterbrochen. Während meine Freunde schnell recht bekannt wurden, saß ich da auf dem Land und habe drei Kinder großgezogen. Darüber will ich mich auch gar nicht beklagen, die Zeit war fantastisch, aber ich bin kaum gereist und hatte keinen Anschluss an Galerien oder Museen in Deutschland. Dafür hatte ich in Dänemark schnell Erfolg und habe auch lange als Dozentin gearbeitet. Hier war ich allerdings kaum vernetzt, sodass ich erst seit anderthalb Jahren wirklich Verbindungen zu Galerien und Museen habe. In Kopenhagen hat die Galeristin Masha Faurschou eine neue Kunstsammlung aufgemacht und ist auf mich aufmerksam geworden. Ihr Mann Jens besitzt eine sehr große Foundation – so bin ich plötzlich rauskatapultiert worden (Die Faurschou Foundation stellte dem MdbK zuletzt Werke von Yoko Ono zur Verfügung; Anm. d. Red.). Daraufhin habe ich Alfred Weidinger, den Direktor des MdbK in Leipzig, kennengelernt. Er hatte meine Ausstellung im Statens Museum for Kunst letztes Jahr in Kopenhagen gesehen und wollte mich mit einer eigenen Ausstellung nach Leipzig holen.

    Was bedeutet diese Ausstellung für Sie?

    Es freut mich natürlich. Ich habe gesehen, wie meine Studienkameraden von früher sehr berühmt wurden. Ich rede hier von Polke und Immendorf (Sigmar Polke und Jörg Immendorf waren bekannte Künstler, die ebenfalls unter Beuys studierten; Anm. d. Red.). Man selbst hingegen saß nur da – so war es nun einmal. Im Moment sieht man aber eine Wandlung: Meine Generation, die Frauen aus den 70er Jahren, stehen jetzt im Fokus. Damals kamen die Frauen systematisch nicht in Museen und Galerien. Jetzt hat man die Aufmerksamkeit auf genau diese Frauen gerichtet. Deshalb wird man hier auch nur alte Werke von mir sehen. Der Fokus liegt auf den 70er Jahren, allerdings werden teilweise auch meine allerersten Bilder aus Akademiezeiten gezeigt. Das ist super.

    Beim Gespräch zwischen Ursula Reuter Christiansen und luhze-Redakteurin Pia sieht man im Hintergrund noch die Bäume von Yoko Onos Ausstellung. (Foto: Hagen Küsters)

    Wie würden Sie ihre Kunst in eigenen Worten beschreiben?

    Ich bin eine sehr expressive Künstlerin und zu expressionistisch als dass man mich jemals als dänische Künstlerin hätte bezeichnen können, obwohl ich ja den Großteil meines Lebens dort verbracht habe. Da bin ich recht deutsch. Die dänische Kunst ist sehr lyrisch, mehr ästhetisch und zurückhaltend. Mein eigenes Leben habe ich immer als Ausgangspunkt für meine Kunst betrachtet und es in meine Arbeiten einfließen lassen. Für meine Filme und größeren Ausstellungen hat mein Mann alles komponiert. Für mich ist das meist ein Gesamtkunstwerk: Bild, Laut und Performance hängen zusammen. Bilder an der Wand haben mich schon immer gelangweilt.

    Was wird die Besucher*innen in Ihrer Ausstellung erwarten?

    Die Ausstellung heißt „Der Rote Fluss“. Man sieht gleich, dass das Rot sich wie eine Lebenslinie durch meine ganze Arbeit zieht. Beispielsweise die roten Mohnblumen, die ich male, haben eine lange Geschichte. Man sagt, dass sie nach dem Ersten Weltkrieg aus den mit Blut getränkten Feldern der Schlacht bei Verdun gewachsen sind. Aus der Antike kennt man Mohn im Zusammenhang mit Opium und der Assoziation mit tiefem oder auch tödlichem Schlaf. Es ist eine unglaublich symbolgeladene Blume.

    Man kann sich aber auch vor allem auf die Filme freuen. Der erste, „Der Schafrichter“, thematisiert den Abschied von meiner früheren in eine neue Welt. In diesem Film werde ich symbolisch vom Schafrichter geköpft, was für eine Katharsis steht. Ein anderer Film ist anderthalb Stunden lang und heißt „Drei Mädchen und ein Schwein“. Als der Film entstand, gab es gerade die Diskussion, ob Frauen auch ins Militär sollen. Im Film sieht man mich und meine Schauspielkolleginnen in Uniform wie wir Kartoffeln schälen und uns fragen, ob Frauen im Wehrdienst genau dies tun sollten. Darauf folgt eine Szene, in der wir ein Schwein kastrieren.

    Für Ursula Reuter Christiansen ist Mohn eine unglaublich symbolgeladene Blume, einerseits ist da die Bezauberung und wenn man sie pflückt, sind plötzlich die Blätter weg. (Foto: Pia Benthin)

    Ist Kunst für Sie immer politisch?

    In meinem Fall würde ich das schon sagen. Ich hatte immer einen Kampf als Antrieb. Früher war das sehr politisch bei mir. Wie gesagt, man sieht auch einige Arbeiten mit meinen großen Vorbildern Rosa Luxemburg und Clara Zetkin. In meiner durchaus kommunistischen Zeit an der Akademie in Kopenhagen hatte ich ein Foto gefunden, auf dem Rosa Luxemburg und Clara Zetkin auf dem Weg zum Magdeburger Parteitag aus dem U-Bahnschacht am Alexanderplatz kommen. Ich habe die Kostüme nachnähen lassen und zusammen mit einer Studentin die Szene filmisch nachgestellt. Auf dem Alexanderplatz fragten wir die Leute, ob sie ein Autograph wollen. Doch die meisten hatten noch nie von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin gehört und das, obwohl viele Arbeiter in Ostberlin damals zu riesigen Gedenkmärschen auf die Straße gegangen sind und diese beiden Frauen als frühe Vorkämpferinnen für Feminismus und das Recht der Arbeiterfrauen gelten. Die ganze feministische Bewegung hat extrem viel für mich gemacht.

    Was bedeutet Feminismus für Sie?

    Erst einmal bedeutet Feminismus für die Rechte der Frauen zu kämpfen und diese zu sichern. In unserem Teil der Welt sind wir sehr weit gekommen, aber global müssen wir erkennen, dass das Schicksal der Frau noch oft das der Sklavin ist. Unser Zorn ging damals gegen die patriarchalische Gesellschaft und auch gegen Männer direkt. Heute ist das für mich modifiziert. Ich habe jetzt selber zwei Jungs, die auch Kinder haben. Ich finde die sind genauso gute Mütter wie ihre Frauen. Für eine neue Definition zitiere ich gern meine Assistentin, eine sehr kluge junge Frau (sie lächeln sich an und es ist kurz ruhig): „Heutzutage ist Feminismus dasselbe wie Gleichstellung.“ Frauen sollen die gleichen Rechte haben. Es ist nicht mehr nur der Kampf gegen den Mann. Es geht um gleiche Privilegien und gleichen Lohn.

     

    Titelbild: Hagen Küsters

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