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  • Auf dem Fahrrad durch Sachsen

    Am 1. September könnte die AfD stärkste Partei in Sachsen werden. Wie bitte? Unser Redakteur David schwingt sich für die luhze-Sachsentour aufs Rad, um ein geteiltes Bundesland besser kennenzulernen.

    Die Aufregung macht vor meinem Viertel halt. Zumindest könnte man das meinen, wenn man sich nur die Wahlplakate ansieht, die hier in den Straßen hängen. Anfang September wird in Sachsen gewählt, die AfD kann mit einem hervorragenden Ergebnis rechnen und in ganz Deutschland diskutieren Menschen über das politische Erdbeben, das dem Land bevorsteht.

    In meinem Kiez, im Leipziger Westen, ist von den Rechtspopulisten nicht viel zu sehen. Hier hängen die Plakate dicht an dicht: Die Linke hat endlich Form über Inhalt gestellt und wirbt in hipper Alternativgrammatik für Welt-fri-eden, die Grünen unterlegen ihre Botschaften mit einem Hauch von lila, weil die CDU ihnen die Farbe geklaut hat, die FDP will irgendetwas „einfach machen“ und die SPD hat Irena Rudolph-Kokot, die das Demonstrieren in Leipzig erfunden hat. Die AfD allerdings lässt sich kaum blicken. Hier und da hängt zwar ein himmelblaues Plakat mit der Aufschrift „Trau dich, Sachsen“, die Partei hat es dann doch nicht gewagt, kontroversere Botschaften in näherer Umgebung anzubringen.

    Noch ein Plakat mehr hätte nicht an die Laterne gepasst.

    Leipzig gilt traditionell als linkes Pflaster. Hier stellt die Linke die größte Fraktion im Stadtrat, hier bekamen die Grünen bei der Europawahl die meisten Stimmen. Wer aber seine Blase und die gut geteerten Straßen der Innenstadt verlässt, trifft unter Umständen nur wenige Ecken weiter auf eine andere Realität. Wo noch keine Studis auf schicken Rennrädern wohnen und wohin auch keine jungen Familien ziehen, ticken die Bezirke anders. Im südlichen Liebertwolkwitz etwa holte die AfD bei den Kommunalwahlen mit 28 Prozent ihr bestes Ergebnis, im Viertel Stahmeln-Lützschena im Leipziger Norden hängen die Plakate vom rechtsextremen Dritten Weg.

    Jenseits der Stadtgrenzen schließlich findet man sich in einem Bundesland wieder, in dem die AfD bei den Europawahlen ein Viertel der Stimmen auf sich vereinte und bei den anstehenden Landtagswahlen stärkste Kraft werden könnte. Und genau da will ich hin.

    In der Woche vor der Landtagswahl werde ich mit dem Fahrrad durch Sachsen touren und meine Eindrücke täglich hier für luhze festhalten. Ich will das Bundesland, über das so viele reden, ein kleines bisschen besser kennen lernen.

    Seit der Osten nach rechts rückt, wächst die Zahl der Medienprojekte und zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich bemühen, Licht ins sogenannte Dunkeldeutschland zu bringen. Unter dem Hashtag #wirimosten rief das Onlinemagazin Krautreporter Ostdeutsche dazu auf, ihre Perspektive in die Debatte einzubringen und lieferte unter dem Namen „Den Osten verstehen“ gleich die passende Rubrik für interessierte Wessis. Die taz hat zur Landtagswahl eine „Sachsen-WG“ in Dresden gegründet, Initiativen wie „Wann wenn nicht jetzt“ oder Aufbruch Ost mobilisieren vor der Landtagswahl gegen rechts oder kritisieren öffentlich, dass Ostdeutsche immer noch strukturell benachteiligt seien.

    Mit diesem Anspruch kann ich nicht auftreten: Weder weiß ich, wie „der Osten tickt“ noch habe ich eine gute Antwort auf die Frage, wie Wutbürger ihren Hass und ihre Angst verlieren könnten. Aber ich kann versuchen, querbeet mit Menschen ins Gespräch zu kommen, ihre Ansichten zu diskutieren und ihre Lebenswirklichkeit abzubilden. Wie lebt es sich im Osten und womit kann man hier nicht leben? Vielleicht sind wir ja am Ende einen Ticken schlauer.

     

    Grafik: Marie Nowicki

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