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  • Die Mühen der Ebenen

    Redakteur David ist zur Sachsentour aufgebrochen. Am ersten Tag hat er es über flache Landschaften bis nach Torgau geschafft. Auf dem Weg kam er mit Bewohnern ins Gespräch.

    Sachsen oh Sachsen, du bist so schön flach! Ich gestehe es ja: Seit ich aus dem Süden Deutschlands nach Leipzig gezogen bin, vermisse ich den einen oder anderen Hügel, der den kahlen Horizont ein wenig aufhübscht. Auf dem Rad aber wäre es eine Wonne, durch diese satten Ebenen zu rollen. Ich muss nur früher losfahren und meinem Navi weniger Vertrauen schenken, dann komme ich die nächsten Tage hoffentlich nicht erst um siebzehn Uhr und völlig entkräftet am Ziel an.

    Vom Leipziger Norden aus fahre ich über das Messegelände am BMW-Werk vorbei. Kurz muss ich an jenen denkwürdigen Sommerjob denken, als ich dort als Neun-Euro-und-ein-Cent-Leiharbeiter mit Achmed, Bodo und Dieter Filteranlagen auf den Dächern der Industrieanlagen putzen durfte. Bodo, Achmed und ich waren schwer am Schaffen und immer dreckig, Dieter war vor allem Chef, wenn auch ein gemütlicher. Achmed erzählte mir damals, dass Bekannte von ihm stadtauswärts nach Paunsdorf ziehen mussten, weil die Miete um die Eisenbahnstraße zu teuer geworden war. Achmed, der einmal jahrelang Hühner in einer Schlachtfabrik aufgehangen hatte, wollte nach unserem Sommer nie wieder „so eine Scheiße“ machen und auch ich habe mir seither das Vergnügen erspart.

    Gudruns Imbiss

    Nachdem ich die Industrieanlagen und endlich auch die Stadtgrenze passiert habe, gönne ich mir beim Örtchen Liemehna einen Imbiss. Ich bin Gudruns letzter Kunde für heute und so setzt sie sich eine Weile zu mir. Gudrun, Mitte fünfzig, kurze graue Haare mit einer lila Strähne und ein freundliches, schüchternes Lächeln im Gesicht, wurde da geboren, wo heute der Störmthaler See ist. Als 1977 ihre Heimatstadt südlich von Leipzig für den Tagebau weggebaggert wurde, musste Gudrun zunächst nach Mockau in den Plattenbau umziehen, später kam sie hierher, wo sie ihren Mann kennenlernte. Heute ist ihre Familie in der Umgebung gut verwurzelt: Ihr Sohn organisiert unweit ein familiäres Festival, der Sohn ihres Mannes stellt den landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters gerade auf bio um. Gudrun weiß noch nicht, wen sie in einer Woche wählen wird. Der CDU wird sie ihre Stimme sicher nicht geben, bei den Grünen ist sie sich aber auch nicht ganz sicher, ob sie der Partei trauen kann.

    In Eilenburg auf dem Weg von Leipzig nach Torgau

    Von Liehmehna aus geht’s weiter Richtung Eilenburg. Unterwegs spricht mich eine ältere Dame an, als ich gerade ein Wahlplakat mustere. „Sie wollen wohl wählen“, fragt sie mich. Veronika wartet gerade auf den Schulbus, um ihren Enkel nach Hause zu begleiten. Hier würden die Leute wie wahnsinnig durchfahren, es bräuchte endlich ein vernünftiges Tempolimit! Letzten Endes glaubt sie aber nicht, dass sich etwas ändern wird: Veronika wird in einer Woche nicht wählen gehen.

    Ich bin jetzt im Landkreis Nordsachsen, hier fallen die Wahlbotschaften rauer aus. Die FDP wirbt am Straßenrand dafür, dass der Rechtsstaat „wehrhaft“ sein müsse angesichts von „Clans, Drogen, Extremismus“ – die nordsächsischen Clans müssen ja zum Fürchten sein. Skurril sind die Plakate von Frauke Petrys neuer Partei „Die Blauen“: Die gefallene Rechtspopulistin und ehemalige AfD-Vorsitzende wirbt hier mit Bildern von Männer-Sixpacks und Frauenpos um die Gunst der Passanten. Fun Fact: Auch die NPD gibt es noch, ein Plakat mit Plüschteddy auf tiefrotem Untergrund präsentiert sie als Partei der Kinderschützer. Die Zweitstimme für die Neonazis tut den „Volksverrätern“ angeblich „richtig weh“. Ich spüre kurz nach, fühle aber keinen Schmerz: Als Partei ist die NPD wohl tot.

    In Torgau am Elbufer

    Nach langer Fahrt und einigen Sackgassen komme ich abends in Torgau an. Die Stadt ist für ihre wunderschön restaurierte Altstadt und das Renaissanceschloss berühmt, in dessen Burggraben – kein Scherz – Bären hausen. Im Biergarten an der Elbe komme ich mit vier Männern um die vierzig ins Gespräch. Bei einem Bier erzählen sie einiges über die Vergangenheit der Stadt: Luther hat hier seine erste Kirche geweiht, 1945 gaben sich hier Russen und Alliierte die Hand auf der Elbebrücke. Es ist eine Runde voller Gegensätze: Sebastian, Carsten und Andreas werden für Die Partei stimmen, aus Protest und weil die „den Leuten den Spiegel vorhält“. Sven ist Mitglied in der NPD. Als er seinen Thor-Steinar-Pulli präsentiert, ist das Andreas zwar sichtlich unangenehm, reden können sie trotzdem alle miteinander: Gemeinsame Freunde, Fußball und die Zeit in der Band, in der Sven und Sebastian früher gespielt haben, halten sie zusammen. „Die Leute müssen entspannter werden“, sagt Andreas. Er ist der Meinung, anstatt alles „schwarz oder weiß“ zu sehen, sollte man über politische Gräben hinweg miteinander reden. Mit diesem Gedanken fahre ich zurück zum Campingplatz und falle erschöpft in meinen Schlafsack.

     

    Fotos: David Will

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