Die Reise geht nach rechts
Redakteur David ist auf seiner Sachsentour von Torgau nach Meißen gefahren. Er war auf einem Festival gegen Fremdenfeindlichkeit und hat in Ostdeutschlands Nudel-Hauptstadt im Bootshaus übernachtet.
Torgau war einmal die Hauptstadt des Punkrock, das haben sie mir dort in der Kneipe stolz verkündet. Riesa ist die Hauptstadt der Nudel – zumindest in Sachsen. Hier kommen sie her, die Spirelli, Farfalle und Makkaroni von Ostdeutschlands größtem Nudelfabrikanten.
Außerdem hat die Region um Riesa ein Problem von rechts.
„Wir sind hier alle ein bisschen braun angehaucht“, sagt mir der freundliche Herr hinterm Tresen. Auf halber Strecke von Torgau nach Meißen mache ich Halt im Zweihundert-Seelen-Örtchen Pausnitz. An diesem Wochenende feiert der Ort seinen 900. Geburtstag und die Einwohner haben sich bei der Dekoration wirklich ins Zeug gelegt: Über den ganzen Ort sind liebevoll zurechtgemachte Figuren verteilt – die mannshohen Styroporpuppen tragen Latzhose oder Jeans, sie halten ein Nickerchen vor der Einfahrt oder sitzen mit einem Bierchen am Straßenrand.
Im Ortskern testet der DJ noch einmal die Soundanlage für die Feier am Abend, am Biertresen finden sich die ersten Gäste ein. Hier klagt mir der Schankwirt sein Leid: Nie sei im Stadtsäckel genug Geld, um etwa die Straßen vernünftig auszubessern. Zwei Männer Mitte 30 steigen in das Gespräch ein, sie können dem nur beipflichten. Robby und Stan leiten seit 15 Jahren die örtliche Feuerwehr, natürlich ehrenamtlich. Für ihr Engagement würden sie sich später einmal einen Bonus auf die Rente wünschen, große Hoffnungen machen sie sich aber nicht. Die beiden zeichnen das Bild einer Region, in der die Kassen immer leer und die Bürokratie unendlich träge ist. Nach den Überschwemmungen von 2013 habe es noch Jahre gedauert, bis die Flutschäden behoben worden seien, auch mit der Abwasserreinigung habe es lange Zeit Probleme gegeben.
Jahrelang ist Stan bei Pegida mitgelaufen, er hat damals in Dresden bei einem Freund gewohnt, während er dort seinen Meister gemacht hat. Jeden Euro müsse er zwei Mal umdrehen und jetzt solle er den auch noch mit Zuwanderern teilen?
Mit gewaltbereiten Rechtsextremen will er aber nicht in einen Topf geworfen werden, mit denen habe er nichts zu tun. Bei den Landtagswahlen in einer Woche will er ein Zeichen setzen: „Ich sags mal so: Die Reise wird weit nach rechts gehen, auch wenn das sicher kein Allheilmittel ist.“ In der Regierung will Stan die AfD nicht sehen, aber die CDU soll bitteschön merken, dass er unzufrieden ist.
Am Abend komme ich in Riesa an. Am Stadtrand stehen auf einer Wiese ein paar Bänke und eine kleine Bühne, einige alte Rocker aus der Gegend spielen Lieder von George Harrison und Queen, zumindest sagen sie das. Nur ein paar Meter weiter kann ich für fünf Euro im Bootshaus schlafen, wo ich die Nacht auf einem Klappbett verbringe. Tags darauf schlendere ich durchs Stadtzentrum: In der Fußgängerzone wirbt Geert Mackenroth, der Direktkandidat der CDU, um seine Wiederwahl, vor seinem Wahlkreisbüro wirft mir ein Rentnerehepaar entgegen, dass sie mit „dem da“ überhaupt nichts anfangen könnten.
„Wir wünschen uns mehr Flagge gegen rechts“
Ich habe gehört, dass ganz in der Nähe ein Festival gegen Fremdenfeindlichkeit stattfinden soll und fahre in den Ortsteil Göhlis, um mir das anzuschauen. Hier tummeln sich auf einem ehemaligen Gutshof rund 30 Kinder und Jugendliche: In einer Ecke findet gerade ein Graffiti-Workshop statt, vor einem Bauwagen kann man seine eigenen Beats abmischen, es gibt eine offene Bühne und eine U-18 Wahlurne, wo die Kleinen symbolisch ihre Stimme abgeben können – auch wenn die Allerkleinsten schnell vergessen haben, für wen sie da eben gestimmt haben.
Vor der Suppenküche treffe ich auf Reni, Martin, Theres und Ben vom Verein Sprungbrett „Bei uns in der Region geht’s in die braune Richtung. Wir wollen mit dem Festival zeigen, dass Riesa auch bunt sein kann“, sagt Reni. 200 Leute waren gestern da, als die Banda Internationale aus Dresden aufgetreten ist, für die nächsten Tage sind verschiedenste Workshops geplant: Capoeira soll es geben, Theater und Vorträge zu Hatespeech sowie zur Neuen Rechten. Für heute hatten die vier eigentlich auf mehr Andrang gehofft, aber das sei nunmal in der Gegend nicht immer leicht: „Gegen Ausgrenzung & für Toleranz“ steht auf ihrem Festivalflyer – so manch einer habe sich daran gestört und seinen Kindern den Besuch verboten. Seit Jahren könnten Rechtsrock-Bands wie Freiwild unbehelligt in städtischen Hallen auftreten, wegen Drohungen vonseiten der NPD sei gestern sogar die Polizei mit drei Wagen vor Ort gewesen. Die Stadtregierung mache zwar auch viel. „Wir wünschen uns aber mehr Flagge gegen rechts“, sagt Ben.
Hilfsbereitschaft
Von Göhlis aus mache ich mich auf den Weg nach Nünchritz, wo ich mich mit Simone treffen will, die mit dem Zug aus Leipzig anreist – für die nächsten Tage werden wir zusammen unterwegs sein. Als mir aber kurz vor Nünchritz der Schaltzug reißt, lerne ich so einiges über Fahrrad-Gangschaltungen – ohne Zeit, Werkzeug und Ahnung kann ich das verflixte Teil nämlich nur noch entsorgen. Ich lerne aber auch einiges über Hilsbereitschaft: Da ist zum Beispiel der bis ans Schlüsselbein tätowierte Angler, der ungefragt nach Hause fährt, um mir seine Kneifzange zu holen, oder sein Bekannter, der mich auf der Ladefläche zur nächsten Fahrradwerkstatt bringt. Als das Fahrrad Stunden später endlich wieder fährt, machen Simone und ich uns über den malerischen Elberadweg auf den Weg nach Meißen.
Titelbild: Simone Rauer
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