Den richtigen Ton getroffen
Im Rahmen der Graduierungsfeier verlieh die Handelshochschule Leipzig Angela Merkel heute die Ehrendoktorwürde. Kurz vor dem Wahlsonntag rief sie zu nachhaltigem und kompromisssuchendem Denken auf.
In Abendgarderobe stehen die 220 Master- und Promotionsstudierenden am Samstagmorgen auf den Treppen der Oper Leipzig. Nur wenige Stunden später steigt auch ein ganz besonderer Ehrengast diese Stufen hinauf: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute ihre Ehrendoktorwürde von der Handelshochschule Leipzig (HHL) erhalten. Obwohl es bereits die siebzehnte Auszeichnung dieser Art für Merkel ist – unter anderem von der US-Eliteuniversität Harvard – verleiht Leipzig, früherer Studienort von Merkel und die Stadt, in der die Montagsdemonstrationen, die letztendlich zum Mauerfall vor genau 30 Jahren führten, ihren Anfang fanden, der Veranstaltung etwas Besonderes.
Rektor der HHL, Stephan Stubner, eröffnet die Veranstaltung. Es folgen Sonderauszeichnungen und die Zeugnisverleihung. Währenddessen erwarten Presse, Sicherheitskräfte und einige Schaulustige vor der Oper die Ankunft der Ehrengäste. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fährt als erstes vor, gefolgt von Christine Lagarde, Politikerin der französischen Partei Les Républicains und Juristin, sowie gute Freundin der Kanzlerin. Sie wird heute die Laudatio auf Merkel halten. Schließlich fährt die Bundeskanzlerin vor. Die zwei wichtigsten Frauen Europas posieren mit Kretschmer und Stubner, sowie Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer mit rotem Teppich ausgelegten Stufen der Oper.
Zurück in der Oper spielt das Gewandhausorchester für Merkel – die bekennende Liebhaberin des Komponisten Wagners ist – die Ouvertüre „Die Meistersinger von Nürnberg“. Nach einer kurzen Ansprache Kretschmers folgt die Laudatio von Lagarde, die sie auf Englisch hält. Die Politikerin, die zuletzt im Juli für das Amt der Präsidentin der Europäischen Zentralbank nominiert wurde, begrüßt „Madame la Chancelière“ und sagt, die Bundeskanzlerin sei schon immer ein Vorbild für sie gewesen. Sie vermutet: „Irgendwas muss im Leipziger Wasser sein.“ Sie verweist auf Leibniz, Goethe, Nietzsche, Wagner, und – natürlich – Angela Merkel: „Sie alle tranken aus der tiefen Quelle der akademischen Exzellenz in dieser wunderschönen Stadt.“ Was folgt, gleicht einer Lobeshymne: Merkel sei eine „Ausnahmepersönlichkeit“. Ganz in Opern-Manier vergleicht sie Merkels Führungsstil mit „Das wohltemperierte Klavier“ von Bach. Es sei „ein Stil, der ausgewogen, methodisch und wohltemperiert ist“, sie wisse, wie man den richtigen Ton trifft. „Manchmal mag es einem vorkommen, als spiele sie allein. Aber sie spielt niemals allein. Wir alle spielen mit ihr und lassen uns von ihr führen.“ Zudem sei Angela Merkel immer die am besten vorbereitete Person im Raum. Abschließend sagt Lagarde: „Ich glaube, dass die Musik von Angela Merkels Leben nicht nur bei der heutigen Generation, bei diesen Absolventinnen und Absolventen oder gar nur in Deutschland Anklang findet, sondern bei Generationen von Menschen in aller Welt.“
Nach einer Gesangseinlage des mexikanisch-französischen Opernsängers Ronaldo Villazón leitet Stubner zum Highlight der Zeremonie über. Er verliest die Urkunde und überreicht sie anschließend der Bundeskanzlerin.
Dem Anlass entsprechend und wie von ihr gewohnt redet Merkel in ihrer Danksagung gelassen aber bestimmt, lässt sich zu kleineren Witzen hinreißen und erntet dafür Applaus im Publikum. Sie bedankt sich für die bewegenden Worte und verspricht, sich nicht auf ihnen auszuruhen, denn: „Es gibt noch viel zu tun.“ An den Abschlussjahrgang, in dem Menschen aus über 65 Ländern vertreten seien, appelliert sie: „Lassen Sie ihr Studium hier ein völkervereinendes Zeichen sein.“ Sie erinnert sich an ihre eigene Studienzeit in Leipzig, damals noch in der DDR, und wie sehr sich Leipzig seitdem weiterentwickelt hat. Es sei wichtig, nachhaltig zu denken, nicht nur morgen zur Landtagswahl in Sachsen und Brandenburg, sondern für eine längere Zeit. Merkel verweist auf die beiden wichtigen Jubiläen dieses Jahres: 70 Jahre Grundgesetz und 30 Jahre Mauerfall und die besondere Rolle, die Leipzig bei letzterem spielte. „Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist wichtig, aber die wichtigste Aufgabe der Gegenwart sei die Ausrichtung auf die Zukunft“, schlussfolgert sie.
Schmunzelnd entschuldigt sie sich zuletzt bei den Absolvent*innen für ihre doch sehr strengen Worte, rechtfertigt es aber mit der Redewendung des Science-Fiction-Autors Robert A. Heinlein aus seinem Roman „Revolte auf Luna“: „There is no free lunch in this world.“ Der Roman beschäftigt sich mit den Problemen, die aus der unreflektierten Inkaufnahme einer einseitigen Wirtschaftspolitik entstehen. Nach ihrer Rede muss die Kanzlerin schnell wieder los, jedoch verspricht sie: „Alle Universitäten und Hochschulen, die mir bereits eine Ehrendoktorwürde verliehen haben, werden noch mehr von mir hören, wenn ich nicht mehr Bundeskanzlerin bin.“
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