Finster ist es woanders
Mit einiger Verspätung folgt hier der Text über die vorletzte Etappe der Tour. Er handelt von einer Kleinstadt im Erzgebirge, die sich nicht in das Klischee vom dunklen Osten fügen will.
Die Berge lauern direkt hinter Dresden. Wer die Landeshauptstadt auf dem Fahrrad in Richtung Südwesten verlässt, dem brennt auf den steilen Wegen bald der Schweiß in den Augen. Hier, im Osterzgebirge, holte die AfD bei den Europawahlen satte 33 Prozent der Stimmen. Hier befindet sich die Stadt Freital, die durch rassistischen Terror in ganz Deutschland bekannt wurde. Und hier lerne ich einen Ort kennen, der sich in vielen Dingen so gar nicht in das Klischee vom dunklen Osten fügen will.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Pirna sind wir zurück in Richtung Westen geradelt. Im Dönerladen lernen wir zufällig unsere Gastgeberin kennen, die uns ein Zimmer in einer kleinen, abgeschiedenen Pension bei Freital vermietet. Aus dem Fenster im ersten Stock hängen zwei Blaumänner, außer einigen Bauarbeitern sind wir anscheinend die einzigen Gäste. Am nächsten Morgen nimmt Simone den Zug zurück nach Leipzig und ich fahre weiter. Allerdings komme ich nicht weit: Nur wenige Kilometer hinter Freital mache ich Halt in der Kleinstadt Tharandt.
„Viele, die hier studieren oder mal eine Auszeit haben wollten, sind hier geblieben“, sagt Ruben. So auch er selbst: Ruben, ein stämmiger Mittdreißiger mit dichtem Bart und kurzen Haaren, kam wie viele andere nach Tharandt, um hier Forstwissenschaften zu studieren – die Technische Universität Dresden unterhält in der 6.000-Einwohner-Stadt eine Außenstelle. Bevor er sich im Nachbarort niederließ, hatte Ruben zehn Jahre in der Heinrich-Cotta-Straße gewohnt, in einer WG, die schon seit den 90er-Jahren in der Hand von Studierenden ist. Die Straße liegt auf einer Anhöhe, von der aus man einen guten Blick auf die Hauptstraße im Tal hat. Von hier aus ist es nicht weit bis zur alten Burgruine oder in den Wald. Man kennt sich, greift einander beim anstehenden Straßenfest unter die Arme oder trifft sich auf einen Kaffee oder ein Bier in der HC 9, dem Hausprojekt am Ende der Straße. Obwohl er außerhalb wohnt, ist Ruben immer noch oft im Ort, besonders in letzter Zeit: Mit einem knappen Dutzend anderer Leute organisiert er ein Kurzfilmfestival, das am kommenden Wochende auf der Burgruine stattfinden soll.
Als ich die Flyer entdecke und durch Nachfragen an Rubens Telefonnummer komme, trifft er sich spontan mit mir an der Ruine und erzählt mir von Tharandt: Von dem Gemeinschaftsgefühl, das er in der Heinrich-Cotta-Straße erfahren hat, und davon, dass die Stadtverwaltung einem auch entgegenkommt, um Veranstaltungen wie das Festival zu ermöglichen.
Ähnliches erfahre ich von Stefan: Auch er ist zum Studieren hergekommen, auch er ist in Tharandt geblieben. Der vierfache Vater wohnt mit seinen Kindern und zehn Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern im Hausprojekt in der HC 9. Klar seien auch in Tharandt die Rechten stark. Bei den vergangenen Kommunalwahlen entfielen immerhin 23 Prozent auf die AfD. „Es ist hier aber nicht ganz so finster wie in Freital oder den umliegenden Dörfern.“ Als es im Jahr 2015 über Wochen hinweg zu Ausschreitungen gegen ein Asylbewerberheim in Freital kam, waren unter den Gegendemonstranten viele Leute aus Tharandt. Als dann jemand aus dem Umfeld der AfD vor Kurzem versuchte, ein rechtes Jugendlager im Ort auf die Beine zu stellen, habe sich die Stadt dagegen „gut gewehrt“. Auch der CDU-Bürgermeister habe sich in der Sache „gut gekümmert“, um ein Stigma wie das von Freital zu verhindern.
Unten im Tal betreibt Annaluise Erler seit 26 Jahren die Buchhandlung Findus. Ruben hatte von einer „Zweiklassen-Geschichte“ im Ort gesprochen, Zugezogene und „Ur-Tharandter“ hätten letzten Endes nicht viel miteinander zu tun. Frau Erler will das so nicht ganz stehen lassen. Beim Reden verschränkt die zierliche Buchhändlerin die Arme vor der Brust, sie fixiert ihr Gegenüber mit festem Blick und wippt von einem Bein aufs andere. Durch die hohe Fluktuation unter den Studierenden kenne man eben nicht jeden und mit manchen könne man eher zusammenarbeiten als mit anderen. Dennoch packt sie jedes Jahr mit Studierenden die Erstitüten, weil es ihr wichtig ist, „sich gegenseitig zu begrüßen“. Frau Erler organisiert in ihrem Buchladen Lesungen gegen rechts, auch wenn sie sich manchmal mehr Resonanz von Leuten aus dem Ort wünschen würde: Hasnain Kazim war in ihrer Buchhandlung zu Gast, der SPIEGEL-Journalist, der sich in seinem Buch „Post von Karl-Heinz“ mit rechten Trollen und Wutbürgern auseinandersetzt. Für nächstes Jahr organisiert sie sie mit Kazim eine Tour durch die Umgebung, auch in Freital soll er auftreten.
Schließlich löse ich mich schweren Herzens von Tharandt und fahre weiter in Richtung Westen. Die letzte Etappe wird mich beinahe in einen minenverseuchten Campingplatz und schließlich zu zwei Couchsurfern nach Chemnitz führen, die mich auf einen grundlegenden Fehler im deutschen Wahlrecht aufmerksam machen werden. Aber davon mehr im nächsten, dem letzten Text.
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