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  • Für ein paar Stunden dem Alltag entfliehen

    Das Projekt KulturLeben Leipzig & Region vermittelt Veranstaltungskarten kostenfrei an Menschen mit geringem Einkommen. Doch viele Leipziger wissen davon nichts. Das will das KulturLeben-Team ändern.

    Aus einem Zehn-Quadratmeter-Büro heraus macht Sibylle Leiber jede Woche Menschen glücklich. „Dank Ihnen habe ich für zwei Stunden all meine Probleme vergessen“, solche und ähnliche Dankesbekundungen erreichen die Mitarbeiterin des Projekts KulturLeben Leipzig & Region regelmäßig. Die 2012 gestartete Initiative des Soziokulturellen Zentrums DIE VILLA in der Lessingstraße vermittelt kostenlose Tickets für Kultur- und Sportveranstaltungen an Menschen mit geringem Einkommen.

    Das Konzept erscheint auf den ersten Blick einfach: Über 80 sogenannte Kulturpartner, darunter beispielsweise das Gewandhaus und der Zoo Leipzig, überlassen der Initiative regelmäßig unverkaufte Karten ihrer Veranstaltungen. Das Team von KulturLeben verteilt diese dann an etwa 1.000 registrierte Gäste. Doch dahinter stecken ein ausgeklügeltes Vermittlungssystem und die ehrenamtliche Arbeit von 22 Menschen.

    Der Verein bietet kostenlose Eintrittskarten für viele verschiedene Veranstaltungen an. (Foto: KulturLeben Leipzig & Region)

    Jeder Gast kann bei der Anmeldung Vorlieben für bestimmte Kulturveranstaltungen angeben. Die Daten werden in eine Software eingespeist, die Ausgangspunkt der Vermittlung ist. Zweimal pro Woche vermitteln die ehrenamtlichen KulturLeben-Mitarbeiter vom Büro in der Lessingstraße aus Eintrittskarten telefonisch an die registrierten Personen. „Das persönliche Gespräch am Telefon ist uns sehr wichtig“, erklärt Nora Hartenstein, die seit 2013 bei KulturLeben Leipzig & Region ehrenamtlich aktiv ist und mehrere Gruppen dieses Mitwirkungsprojektes der VILLA verantwortet. „Nur so können wir unseren Gästen die Veranstaltung in wenigen Worten beschreiben und sie können direkt Nachfragen stellen.“ Die Software schlägt den Mitarbeitern im Büro anhand der kulturellen Interessen und des letzten Vermittlungszeitpunktes gezielt Personen vor, die dann angerufen werden.

    So klingelt bei jedem Gast alle zwei bis drei Monate das Telefon. Sagt die Veranstaltungsbeschreibung dem Gast zu, setzen die Mitarbeiter von KulturLeben ihn auf die Gästeliste. Zusätzlich erhält er eine Mail mit wichtigen Infos, beispielsweise zum Anfahrtsweg. In der Regel werden bei jeder Vermittlung zwei Karten angeboten, unabhängig vom Einkommen der Begleitperson. „Niemand geht gern allein auf ein Konzert“, meint Hartenstein. Bei der Abholung der Karten muss der Gast lediglich seinen Namen und gegebenenfalls das Stichwort „KulturLeben“ an der Rezeption nennen, es sind also keine separaten Schlangen oder sonstige Sonderwege vorgesehen. Dahinter steckt die „Idee der gleichberechtigten Teilhabe“, betont Hartenstein. Niemand solle sich dafür schämen oder rechtfertigen müssen, kostenlose Tickets erhalten zu haben, sondern die „Auszeit vom Alltag“ einfach genießen.

    So hat KulturLeben seit 2012 etwa 40.000 Karten vermittelt, inzwischen vergibt das Projekt im Schnitt 750 Karten monatlich, Tendenz steigend. Im Mai feierte das Team siebenjähriges Jubiläum. „Wir sind unglaublich stolz auf das, was wir bisher aufgebaut haben, aber wissen auch, dass da noch mehr geht“, ist sich Hartenstein sicher. Zu wenige Menschen in Leipzig und im Umland wüssten von KulturLeben – das möchten die Mitarbeiter ändern. Doch oft ist das Geld knapp, die Initiative ist auf Spenden angewiesen. Monatlich müssen für Büromiete, Hard- und Software etwa 400 Euro aufgebracht werden, da bleibt wenig übrig für Öffentlichkeitsarbeit. „Wir träumen von einem eigenen Imagefilm für unsere Website, aber unsere Mittel sind begrenzt“, berichtet Hartenstein. Sie betont, dass KulturLeben sich nicht nur über jeden neu registrierten Gast freut, sondern auch über neue ehrenamtliche Mitarbeiter. „Wir suchen immer Leute, die sich engagieren wollen, sowohl in der Vermittlung als auch in der Öffentlichkeitsarbeit.“ Das aktuelle Team sei „eine gute Mischung aus Jung und Alt“, Studierende helfen ebenso wie Berufstätige oder Rentner. Die einzige Voraussetzung bestehe darin, mindestens zwei Stunden wöchentlich für das Projekt aufbringen zu können.

    „Von Punk über Slam Poetry bis Klassik ist alles dabei“, beschreibt Hartenstein die Bandbreite der Veranstaltungen, für die das Projekt Tickets vermittelt. Am häufigsten sind aber Klassikveranstaltungen, Kabarett und Theater dabei. Die Akquise von Sportpartnern sei zäh, bisher kooperieren lediglich der SC DHfK Leipzig Handball, BSG Chemie und Lok Leipzig mit KulturLeben. Die Mitarbeiter versuchen bei der Vermittlung gezielt, die Gäste für Veranstaltungen zu begeistern, die sie selbst vielleicht nie auswählen würden. „So kann man beispielsweise mal in klassische Musik reinschnuppern und vielleicht eine neue Leidenschaft für sich entdecken“, sagt Hartenstein. Es gehe um das „Öffnen von neuen Fenstern“, um eine Bereicherung des kulturellen Horizonts, ohne sich über Geld Gedanken machen zu müssen.

    Studierende gehören ebenfalls zur Zielgruppe von KulturLeben, denn jeder mit einem Netto-Einkommen bis zu 900 Euro kann sich anmelden. Bei Alleinerziehenden erhöht sich der Betrag gar um 300 Euro. Bei der Registrierung muss die Bedürftigkeit einmalig nachgewiesen werden, beispielsweise durch Vorlage des Leipzig-Passes.

    „Mein Antrieb ist definitiv die Dankbarkeit der Menschen“, fasst Mitarbeiterin Leiber die Beweggründe ihrer ehrenamtlichen Arbeit zusammen, während sie vor dem Computer sitzt und durch die Gästedatenbank scrollt. Das selbstverständliche Erleben von Kultur sei ein wichtiger Faktor psychischer Gesundheit. Dann entschuldigt sie sich, denn „es gibt noch eine Menge zu tun“. 14 Karten habe sie heute noch zu vermitteln. 14 Mal Menschen glücklich machen.

     

    Titelbild: KulturLeben Leipzig & Region

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