„Ich lasse mich später mit meinem Boot begraben“
Johanna Reichardt konzentriert sich in ihrem Alltag aufs Rudern, nebenbei studiert sie Sportwissenschaften. Ihr bisher größter Erfolg: der zweite Platz bei der diesjährigen U23-WM in Florida.
Johanna Reichardt ist frisch aus Sarasota im US-Bundesstaat Florida zurückgekehrt. Braungebrannt und überaus ausgeglichen und ruhig erzählt sie,wie sie bei den U23-Ruder-Weltmeisterschaften in Florida im Leichtgewichts-Einer den zweiten Platz belegt hat – ihr bisher größter Erfolg. Für die 22-Jährige war es das letzte Mal bei den unter 23-Jährigen. „Leider“, sagt sie, „Es hat Spaß gemacht.“
Für sie steht Rudern an erster Stelle. Morgens geht es erstmal raus zum Bootshaus nach Burghausen. Der Elster-Saale-Kanal bietet dort die perfekten Voraussetzungen zum Rudern: keine Schiffe, keine Kanus, man kann einfach fahren, ohne sich umzusehen. Solange das Wetter es zulässt, trainiert Johanna draußen. Nur wenn der Kanal im Winter zufriert, geht es aufs Rudergerät, meist Ergometer genannt. Aber auch Sportarten wie Schwimmen, Laufen oder Turnen halten sie in dieser Zeit immer auf Trab.
Neben dem Sport studiert die Ruderin Sportwissenschaften in Teilzeit an der Universität Leipzig. Dafür pendelt sie den ganzen Tag mit dem Fahrrad zwischen Bootshaus und Campus Jahnallee. Die Lehrveranstaltungen um 11 Uhr morgens könne sie nach dem ersten Training gut wahrnehmen, danach geht es direkt wieder zum Rudern. Abends sei sie oft zu erschöpft, um noch groß das wilde Studierendenleben in Leipzig auszuschöpfen. Doch den Sport würde sie niemals gegen ein vermeintlich normales Leben austauschen wollen.
Einsam ist sie trotzdem nicht, denn Johanna hat eine Zwillingsschwester, Marion. Die beiden wohnen nicht nur, sondern rudern auch zusammen. Meist fährt Johanna trotzdem im Einer, da muss man nicht auf „das Getrödel der anderen“ Rücksicht nehmen. „Um Zweier zu fahren, müssten wir ähnlicher rudern“, stellt Johanna fest. Im Moment fährt sie ihrer Schwester ein klein wenig davon. Trotzdem sei es schön, beim Training jemanden zu haben, der genauso stark ist wie man selbst. Das ist „ein gutes Battle“. Auch teilen die beiden ganz schwesterlich: Marion ist in Griechenland bei der U23-EM mit Johannas Boot angetreten.
Zum Sport gekommen sind die Schwestern ebenfalls gemeinsam. In der fünften und sechsten Klasse mussten sie an der Schule eine AG wählen. Neben Fußball und Schach war für Johanna Rudern die beste Alternative. Zudem hat ihre Mutter die AG geleitet und sie teilweise noch zusätzlich an den Wochenenden trainiert. Als Kind sei ihr noch nicht bewusst gewesen, dass das schon Leistungssport ist und es sowas wie Sportschulen überhaupt gibt. Ihr habe es einfach Spaß gemacht. Neben den Rennen im Sportruderboot fährt Johanna in ihrer Freizeit auch gerne mal auf Wanderfahrt mit ihrer Mutter raus. Hier unterscheiden sich die Boote, denn während Sportruderboote leicht und schmal sind, sind Wanderruderboote eher breiter geschnitten und meist aus Holz. Auch fährt man nicht auf Zeit, sondern eher als Ausflug. Anders als viele andere Boote habe ihr gelbes Boot allerdings keinen Namen.
Was sie nach dem Studium machen möchte, wisse Johanna noch nicht. Sie wolle einfach „alles auf sich zukommen lassen“. Früher dachte sie immer, dass sie gerne mal Trainerin werden will. Aber jetzt wolle sie lieber solange es geht mit dem Leistungssport weitermachen. „Ich lasse mich später mit meinem Boot begraben“, scherzt Johanna lachend. Im Bootshaus seien oft ältere Leute, die mit dem Boot rausfahren, da sehe sich die Sportlerin später auch. Während des Studiums muss sie auch noch zwei Pflichtpraktika erfüllen. Sie hofft, sich dadurch orientieren zu können.
An trainingsfreien Tagen spielt sie lieber Geige oder gärtnert, obwohl letzteres in Leipzig eher ein paar Kakteen auf der Fensterbank hergibt. Sogar wenn es ums Prokrastinieren beim Lernen geht, macht Johanna Gymnastik oder trainiert statt im Bett rumzuliegen und Serien zu schauen. Sie habe einfach einen riesigen Bewegungsdrang. Offenbar kann Rudern als Ganzkörpertraining diesen Drang perfekt stillen. Das Einzige, was sie am Rudern störe, sei, wenn Leute es mit Paddeln verwechseln oder Angler laut „Hau ruck!“ rufen.
Titelbild: Detlev Seyb
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