Sommer, Sonne, Menschenopfer
„Midsommar“ in Schweden: Eine neuheidnische Kommune bekommt Besuch von vier Amerikanern. Sie werden freundlich empfangen, bekommen aber schnell mehr Blut zu sehen, als ihnen lieb ist.
Schweden: Der immerfreundliche Musterknabe unter den Nationen. Was kann man unseren unverbesserlich beneidenswerten, strahlend fortschrittlichen nordischen Nachbarn schon vorwerfen, außer ihrer Vorliebe für verfaulten Hering? Regisseur Ari Aster nimmt die Herausforderung an, mit einem Horrorfilm das beschauliche Schwedenbild der Ikea-Kataloge zu korrigieren.
Das Leben der amerikanischen Studentin Dani (Florence Pugh) zerbricht: Ihre psychisch gestörte Schwester tötet sich und ihre Eltern. Auch in der Beziehung mit ihrem Freund Christian (Jack Reynor) kriselt es. Dieser will mit seinen Kumpeln der Einladung seines schwedischen Kommilitonen Pelle (Vilhelm Blomgren) folgen, Mittsommer in der Kommune zu verbringen, in der dieser aufgewachsen ist. Wider Erwarten will Dani sie begleiten und zerstört so die Hoffnungen auf eine Männerrunde. Im skandinavischen Busch angekommen, entpuppt sich die Kommune als neuheidnische Öko-Sekte: naturverbunden, freundlich, mit pittoresken Kleidern und Bräuchen rund um Odin & co. – allerdings auch mit einem blutig-archaischen Verständnis von Ritual und Opfer, wie sich sehr bald herausstellt. Zwei andere Gäste, welche von dem barbarischen Schauspiel entsetzt sind und die Kommune verlassen wollen, bleiben verschwunden. Zwar sind die Dorfbewohner weiterhin freundliche Gastgeber, doch wird den Besuchern zunehmend mulmig zumute…
Für Ari Aster ist es nach seinem vielgelobten Debüt-Gruselstreifen „Hereditary“ das zweite Projekt. Nachdem die kruden Abgründe vorchristlicher Traditionen bereits 1973 im britischen Klassiker „Wicker Man“ mit New-Age-Vibe beleuchtet wurden, legt der Regisseur mit „Midsommar“ nun ein ähnlich gelagertes Schauerstück vor, das den Zuschauer genauso wie die Protagonisten in Bann schlägt. Faszinierend ist daran zum einen die trügerische Beschaulichkeit. Gerade weil Schweden so ein lieblicher Sehnsuchtsort ist, genießt man als masochistischer Horrorfilmliebhaber dessen Demaskierung, wenn etwa die althergebrachte Tradition Blut für den Kreislauf der Jahreszeiten fordert.
Zweites Hauptthema bleibt den Film hindurch die Entwicklung der weiblichen Hauptfigur Dani einschließlich der Beziehung zu ihrem Freund Christian. Ist sie zu Anfang noch durch den Verlust ihrer Familie am Boden zerstört und klammert sich ängstlich an ihre zerfasernde Beziehung, so festigt sich ihr Selbstbewusstsein immer mehr und sie steigt am Schluss zu einer überraschenden Rolle auf. Die Auflösung ist verblüffend, aber von dieser Erzählung weiblichen Triumphs hätte man sich durchaus eine tiefere Ausarbeitung gewünscht.
Da mehrere der Protagonisten Ethnologie studieren, drängt sich unter ihnen auch die Frage auf, ob man die rohen und morbiden Riten hinnehmen soll, so abstoßend diese auch sind. Schließlich scheinen alle Kommunenmitglieder sich bereitwillig zu fügen. Sehenswerterweise ist dieses andersartige Fremde im Film mal nicht durch Aliens, Untote oder exotische (heißt: nichtwestliche) Kulturen vertreten, sondern durch eine, wenn auch sehr eigenwillig traditionelle, Ableitung einer bekannten westeuropäischen Kultur. Kurz gesagt: Das Bizarre und Exotische sind hier weiße Schweden, die im Wald hausen, keine Indianer oder sonstige Naturvölkerstereotypen. In ironischer Anerkennung dieser Umkehrung des Üblichen ist der kompetenteste Forscher unter den Besuchern denn auch ein schwarzer Amerikaner.
Auch wenn man „Midsommar“ sein langsames Schritttempo vorwerfen kann, das so manche Entwicklung des Plots in der zweiten Hälfte reichlich berechenbar macht, so hat Aster doch eine Folklore-Horror-Bildwelt geschaffen, der man sich nur schwer entziehen kann. Schön zu wissen, dass Schweden auch abseits trostlos-misanthropischer Wallander-Krimis wunderbar unheimlich sein kann.
Ab 26. September im Kino
Fotos: Courtesy of A24
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